Es ist politisch sicher unkorrekt und - weil ein Toter involviert ist - wahrscheinlich auch geschmacklos, auf den Kolateralgewinn des Ablebens von Rachat Alijew für die österreichische Justiz hinzuweisen. Dennoch kann nicht bestritten werden, dass
- das Ableben des ehemaligen Botschafters von Kasachstan der österreichischen Justiz einen Prozess erspart, in dem mit einiger Sicherheit alle möglichen Verstrickungen, Verhaltensauffälligkeiten und Verbindungen in Österreich zur Sprache gekommen wären – oder zumindest aus diesem Anlass in den Medien erörtert worden wären.
- das Spektakuläre an dem Fall vorerst jede weitere eingehende Erörterung der Zustände in Österreichs Gefängnissen in den Hintergrund drängt. Eine solche wäre aber dringend erforderlich, nicht nur wegen der neun Selbstmorde des Jahres 2014, nicht nur wegen der Vorfälle von Vernachlässigung, Unaufmerksamkeit und Übergriffen etc., die an die Öffentlichkeit gelangt sind. Man kann annehmen, dass es weit mehr gibt als bekannt werden.
Vor knapp einem Jahr war der Strafvollzug für die Medien ein Thema. Jetzt sollte es wieder so sein, aber die Begleiterscheinungen des Ablebens Alijews lenken die Aufmerksamkeit auf anderes. Ach ja, im Juli wird die Leitung des Strafvollzugs in das Generalsekretariat des Justizministeriums verlegt. Eine wirklich tiefgreifende Reform der Zustände.
Wen in diesem Zusammenhang der Maßnahmenvollzug, also die Behandlung psychisch kranker Straftäter in den Gefängnissen interessiert, der kann sich unter www.monitoringausschuss.at schlau machen.
Im Frühjahr 2014 sprach Justizminister Wolfgang Brandstetter nach dem Fall des völlig vernachlässigten Häftlings in der Strafanstalt Stein – die Medien schrieben von „Verwesungsgeruch“ - von einer „Katastrophe“. Damals wollte er eine Reform des Maßnahmenvollzugs auf den Herbst 2014 „vorziehen“. Ende Jänner 2015 war die entsprechende Arbeitsgruppe – nach einer etwas extensiven Interpretation des Begriffs „Arbeit“ offenbar – mit ihrem Bericht fertig. Nun will der Justizminister laut „Standard“ versuchen, „die überzeugenden Vorschläge zum Maßnahmenvollzug möglichst rasch umzusetzen“. Hoffentlich nicht nach einer weiteren extensiven Auslegung von „möglichst rasch“.
Mit „versuchen“ ist das so eine Sache. Am Tag des Ablebens von Alijew in der Strafanstalt Josefstadt in Wien habe ich in meinem „Presse“-Blog versucht, auf die Verantwortung des Justizministers für die Zustände in den Haftanstalten hinzuweisen. Es hat niemanden interessiert.
Jetzt versuche ich es eben wieder und zwar etwas martialisch. Es gibt im Englischen den Begriff „On his watch“, jemand ist für etwas, das passiert verantwortlich, weil er zum Zeitpunkt des Ereignissen Dienst hatte. Es ist ein militärischer Begriff: Wer gerade zum Dienst eingeteilt ist, trägt die volle Verantwortung .
So gesehen, erstaunt die auffallende Gemächlichkeit, mit der sich Brandstetter der Reform des Strafvollzugs nähert. Es ist ja nicht so, dass der Justizminister seit Amtsantritt mit einem Furioso an justizpolitischen Maßnahmen aufgefallen wäre. Er müsste also genügend Zeit haben, sich um die offenbar unhaltbaren Zustände in den Haftanstalten zu kümmern: Wenn dort das falsche Personal aus irgendwelchen Gründen zum Einsatz gekommen ist und kommt, dann ist das jetzt „on his watch“. Wenn das Personal, wie es manchmal heißt, überfordert ist mit den Zuständen, dann ebenfalls „on his watch“. Er hat eben jetzt „Dienst“.
Es ist möglich, dass der Fall Alijew dem Justizminister die Rede verschlagen hat. Es ist sicher, dass er als ehemaliger Strafverteidiger des Kasachen nichts sagen darf. Es ist aber eher befremdlich, dass er nicht zu den Ereignissen in den Strafanstalten Stellung nimmt, auf die der Fall Alijew neuerlich ein Schlaglicht geworfen hat.
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