Ein politisch interessierter, aber unbeteiligter Besucher Österreichs muss vier Tage vor der Wiener Gemeinderatswahl den Eindruck gewinnen, das Schicksal der Republik, das der heimischen Demokratie und überhaupt die Zukunft des Landes hänge vom Wahlverhalten von rund 1,3 Millionen im Acht-Millionen-Land ab. Dabei ist es maximal das politische Schicksal Werner Faymanns.
Viel wichtiger aber ist, wie sich Regierungspraxis und Kontrolle in dieser Republik weiter entwickeln können. Und da lieferte die Sitzung des U-Ausschusses zur Hypo Alpe Adria am Mittwoch wieder einen beklemmenden Anschauungsunterricht. Wie schon zuvor, hatte man wieder den Eindruck, die Abgeordneten der einzelnen Fraktionen wissen eigentlich gar nicht, was sie wissen wollen sollen.
Auch während der Befragung von Wolfgang Schüssel (Pardon, Adoranten und Kritiker: „Für Sie, Dr. Schüssel) zeigte sich wieder: Um einen U-Ausschuss des österreichischen Nationalrats zu einem wirkungsvollen Instrument der parlamentarischen Kontrolle zur langfristigen Absicherung der demokratischen Struktur der Republik zu machen, müssen seine Sitzungen – wie in anderen Ländern auch – fernsehöffentlich werden, das heißt: Hinein mit den ORF-Kameras, her mit der vollständigen Übertragung in ORF III!
Berichte der Medien genügen nicht mehr. Die Öffentlichkeit muss sich selbst ein Bild über Verhalten der Abgeordneten, der Zeugen, der Vorsitzführung machen können.
Das hätte, wie auch am Mittwoch wieder eindringlich bewiesen, eine Reihe von Vorteilen und Disziplinierungseffekte:
1.) Die Mandatare wären gezwungen, sich abzustimmen und zu koordinieren, wer welchen Themenkomplex bearbeitet. Sie würden sich vor der Öffentlichkeit genieren, so wie bisher immer die gleichen Fragen (verbrämt jeweils mit einer anderen Parteifarbe) zu stellen, auf die es entweder schon Antworten gegeben hat oder keine anderen zu erwarten sind. Sie würden sich dann genieren, mit ihrer Oberflächlichkeit den Eindruck entstehen zu lassen, die ganze Sache sei ihnen eigentlich schon lästig und langweile sie.
2.) Die Öffentlichkeit könnte sich bei einer TV-Übertragung der Ausschusssitzung selbst ein Bild über die Qualität der Befragung machen und erfahren, welche Mandatare gut vorbereitet sind und welche nicht.
3.) Die interessierte Öffentlichkeit hätte zum Beispiel gestern sehen können, wie wichtig Ex-Bundeskanzler Schüssel diese parlamentarische Untersuchung einer Bankenpleite, die Österreichs Steuerzahler mit Milliarden Euro belastet und dem Budget Milliarden für Reformen, Investitionen, Wirtschaftsentwicklung entzieht, aus der Zeit seiner Kanzlerschaft nimmt: Er verzichtete auf den Beistand eines Anwalts sowie auf eine Erklärung zu Beginn. Den Anwalt hätte er sicher nicht benötigt, beides zusammen aber war offensichtlich als Statement der Geringschätzung gedacht.
Sie hätte auch ungefiltert und weit über die Medienberichte hinaus erfahren können, dass Schüssel sich von 2000 bis 2006 einfach nicht für die Entwicklung in Kärnten interessiert hat; der äußerst kritische Bericht des Rechnungshofs von 2002 spurlos an ihm vorbei gegangen ist; er als Bundeskanzler immer „außenstehend“ war, nie Informationen bekommen hat, offenbar auch keine Medienberichte über die Entwicklung der Hypo Alpe Adria gelesen hat, diese für ihn „kein Thema“ war und wenn doch, dann kann er sich nicht mehr erinnern.
Sie hätte sich fragen können, wie diese Kärntner Bank in eine solche Schieflage geraten konnte, ohne dass der zuständige Finanzminister Karl Heinz Grasser den Regierungschef je informiert habe. Manchmal hätte sie sich bei Schüssels Ausführungen wahrscheinlich gedacht: „Aha, der Grasser war’s“!
Und für den „besten Bundeskanzler seit Julius Raab“ (© ÖVP-Diktion) war das alles kein Thema.
Steuerzahler: Hier, Ihre Rechnung bitte!
Die Aussicht, bei einer möglichen parlamentarischen Kontrolle live im Fernsehen Rede und Antwort stehen zu müssen, könnte das Interesse von Politikern in Verantwortung an Vorgängen in ihrem Einflussbereich durchaus steigern.