Selbst wenn man weder kirchen- noch religionsaffin ist, müssen einem die Worte des Papstes bei seiner Weihnachtsansprache in Mark und Bein gefahren sein. Das muss man sich nur einmal vorstellen: Die Römische Kurie, also oberste Leitung und Verwaltung der römisch-katholischen Kirche befallen von „spirituellen Krankheiten", von „geistlichem Alzheimer" und „existenzieller Schizophrenie", machtgierig, heuchlerisch, eitel, geschwätzig, intrigant, kaltblütig, größenwahnsinnig auch.
Wer im TV die Bilder der versammelten Kardinäle im Audienzsaal während der Ansprache des Papstes gesehen hat, der weiß: Da haben sich viele angesprochen gefühlt. Diese Härte in den Gesichtern, diese schmalen Lippen, diese Fassungslosigkeit über das, was sie da zu hören bekamen. Es wirkte wie ein Ausschnitt aus Dan Browns „Inferno". Die Ansprache des Papstes und die Reaktion mancher Kardinäle darauf – so weit man sie beobachten konnte – bestätigten alle Vorurteile. Und es nicht von der Zeit der Borgia-Päpste vor Hunderten Jahren die Rede.
Viele Katholiken werden die Strafpredigt von Papst Franziskus für seine Kardinäle als Segen der Ehrlichkeit und Offenheit empfinden, andere nicht. In einer Zeit der Vertuschungen und Täuschungen – vom Abhörskandal der NSA über die Folterungen der CIA über die kämpfenden russischen „Urlauber" in der Ukraine bis zur willentlichen Verschleierung des Hypo-Skandals in unserer kleinen österreichischen Welt – ist eine so schonungslose Abrechnung mit wahren Zuständen ein rares Ereignis.
Und dennoch kommt Angst auf. Papst Franziskus ist mit 78 Jahren in einem Alter, in dem ihn seine aktuelle Vitalität jederzeit verlassen könnte; in dem er auch auf natürliche Weise einen plötzlichen Tod erleiden könnte. Nach dieser Rede würde es einen Furor an Verschwörungstheorien, an Vermutungen, an Verdächtigungen geben.
Das wäre in der aktuellen Welt der totalen Verunsicherung, der schwindenden Autoritäten, der unkontrollierbaren und reizbaren, um nicht zu sagen: unzurechnungsfähigen, Machthaber und der Spannungen zwischen Christen und Moslems eine wirkliche Katastrophe.
Auch ohne Nähe zur Katholischen Kirche kann man nach dieser Rede am Montag im Vatikan nur hoffen, dass Papst Franziskus ein wirklich langes Leben geschenkt wird – nicht nur für eine „Genesung" der Römischen Kurie von den „15 Krankheiten", die er diagnostiziert hat. Die Welt, wie sie zur Zeit ist, kann eines sicher nicht brauchen: Mordverdacht im Vatikan! Um Gottes Willen, nur das nicht auch noch.
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