Der „shitstorm“, der vor zehn Tagen über einen Kollegen und seine Erziehungsmethoden hinweg gefegt ist, hat sich gelegt. Zurück bleiben einige beunruhigende Fragen. Etwa diese:
- Wäre der Artikel je geschrieben worden ohne den fatalen Hang zum Ich-Journalismus, der sich seit einigen Jahren überall breit macht?
- Trifft auf „social media“ nicht zu was auch für alle anderen technologischen Neuerungen gilt? Sie können Segen und Fluch zugleich sein, je nachdem wie sie verwendet werden?
- Was bedeutet dieses „An den Pranger mit ihnen!“ für junge Journalisten und Journalistinnen?
Die erste Antwort ist relativ einfach: Wahrscheinlich nicht! Es ist noch gar nicht so lange her, da war die journalistische Verwertung der eigenen Befindlichkeit ein absolutes No-Go in den Redaktionen. Man hätte den Kollegen vor sich selbst beschützt, ihn zu mehr Distanziertheit zum Thema und zu weniger Belehrung verpflichtet.
Seit es aber Mode geworden ist, sich selbst zum Thema zu machen und nicht die „Geschichte“, die es eigentlich zu erzählen gilt, können viele Journalisten der Versuchung nicht widerstehen. Sie wissen, dass mit Ich-Journalismus mehr Reaktion zu erreichen ist und fühlen sich wie Darsteller auf der Bühne der Öffentlichkeit. Das sei ja nicht ihre Schuld, sie nützten nur die neuen Möglichkeiten. Es gehört schon eine gehörige Portion Reife dazu, zu erkennen, wann die Ich-Bezogenheit der Geschichte dient und wann nicht.
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Die zweite Antwort lautet eindeutig Ja. Facebook, Twitter und was es sonst noch alles gibt sind wie jede andere technologische Erneuerung auch: Sie erhöhen die Möglichkeiten und die Geschwindigkeiten der Verbreitung von Information – gleichgültig welcher Art. Ein Segen also! Sie können aber auch dazu benützt werden, einzelne Menschen, ganze Gruppen, Minderheiten, Mehrheiten, was immer, in den öffentlichen Raum zu zerren, der Lächerlichkeit und/oder Aburteilung anderer preiszugeben. Jeder kann seine Meinung platzieren. Der Krieg der Worte findet immer seine Opfer.
Das führt zur dritten und für jedes demokratische Gemeinwesen beunruhigenden Frage und Antwort: Die allgemeine Erregung vor zehn Tagen wird wohl den einen oder anderen Jungjournalisten (weibliche Form mitgedacht) zum Nachdenken gebracht haben – hoffentlich und leider zugleich. Hoffentlich, weil das zur Stärkung der eigenen Sensibilität und Verantwortung führen könnte. Wie sorglos darf ich sein bei der Verbreitung dessen, wonach mir gerade ist? Wie sorglos darf ich sein bei Informationen, die mir gerade so ein- oder zufallen?
Leider, weil jede Erregung dieser Art auch Einschüchterung ist. Wie viel Kritik kann ich mir leisten? Was, wenn mir ein Fehler unterläuft, der eine solche Reaktion auslöst? Lieber angepasst als auffällig! Lieber vorsichtig als mutig!
Was aber, so die letzte Frage und Antwort, hat eine lebendige Demokratie von angepassten und mutlosen Journalisten? Junge müssen Fehler machen dürfen – ohne dass sie in den sozialen Medien gleich in Grund und Boden gestampft werden.
Hat irgendjemand vor zehn Tagen diese Konsequenzen des „shitstorms“ bedacht?
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