Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, sollte sich Peter Pilz bei der Kandidatur einer eigenen Liste ausgerechnet an Jörg Haider und dessen Bündnis Österreich (BZÖ) bezüglich Wahlchancen orientiert haben. Dem FPÖ-Ableger des Jahres 2005 gelang im folgenden Jahr der Einzug in den Nationalrat mit 4,1 Prozent. Zwei Jahre später kam die „Liste Jörg Haider- BZÖ“ auf 10.7 Prozent. Oder vielleicht dachte Pilz an Heide Schmid, deren Liberales Forum sich von der FPÖ Jörg Haiders abgespalten und 1994, dann noch einmal 1995 den Einzug ins Parlament geschafft hat.
Als Orientierungshilfe kann allerdings nur der Vorgang hergehalten habe: Kehre Deiner politischen Heimat den Rücken und nutze die daraus resultierende Aufmerksamkeit für eine Kandidatur. Denn das weitere Schicksal des Liberalen Forums und des BZÖ taugen eher nicht als Vorbild. Beide sind aus dem Parlament wieder verschwunden und haben sich aufgelöst. Und noch einen Unterschied gibt es: LIF und BZÖ waren ursprünglich auf Nachhaltigkeit ausgelegt. Bei der „Liste Peter Pilz“, die am Dienstag vorgestellt wurde, dürfte es eher um das Hier und Jetzt am 15. Oktober gehen und nicht um eine dauerhafte Präsenz im Parlament.
Für die Spitzenkandidatin der „Grünen“, Ulrike Lunacek, ist das Antreten der „Liste Peter Pilz“ eine ambivalente Angelegenheit. Schon vor der Entscheidung des „Solotänzers, der das Rampenlicht liebt und eine One-Man-Show braucht“ (Lunacek) musste sie mit Verlusten für die Grünen im Vergleich zur Nationalratswahl 2013 ( 12.41 %) rechnen. Jetzt aber wird Lunacek nicht mehr erfahren, wie viel sie den Grünen „wert“ ist, ob ihr Wahlkampf gut oder schlecht war, welche neuerlichen Fehler die Grünen selbst begangen haben etc. Die Verluste werden einen Namen und ein Gesicht haben: Peter Pilz. Und zwar ganz gleich, ob er mit den von ihm angepeilten 6 Prozent plus den Einzug ins Parlament schafft oder nicht. Jeder einzelne Prozentpunkt, der den Grünen auf das letzte Ergebnis fehlen wird, werden sie auf sein Konto schreiben. Zynisch könnte man sagen: Lunacek ist als Spitzenkandidatin „aus dem Schneider“, weil Pilz nach dem Prinzip der verbrannten Erde vorgeht.
Die Grünen haben es sich allerdings als Partei oder Kollektiv, basisdemokratisch bestimmte Bewegung oder was immer, selbst zuzuschreiben, dass es so weit gekommen ist. Es ist schon beachtlich, dass eine Gruppierung, die so viel auf Diskurs und Basismacht über die Oberen in der Partei hält, es nicht geschafft hat, Fehlentwicklungen auszudiskutieren. Diese waren spätestens seit der Wahl Alexander Van der Bellens zum Bundespräsidenten mit freiem Auge erkennbar: Obfrau Eva Glawischnig schien nur mehr ein Ziel zu kennen: Wir wollen mitregieren! Da war offenbar niemand in der Partei, der ihr erfolgreich klarmachte: Das wird nicht genügen!
Dann agierten Glawischnig und die Spitze der Grünen beim Konflikt mit der eigenen Parteijugend auf atemberaubende Weise unprofessionell. Das trug weder zur Klärung des Konflikts noch zu seiner Bewältigung irgendetwas bei.
Im gewissen Sinn ist der Tritt, den Pilz nun seiner eigenen Partei verpasst, nur die logische Folge von Monaten des Strampelns und Stolperns. Genauso wie der Tritt, den die Bundesversammlung Pilz bei der Kandidatenreihung verpasst hat: Eine Minute Überlegung, was die Grünen eigentlich der Wählerschaft zu bieten haben, nämlich die Kontrollkompetenz, hätte für die Einsicht genügen müssen: Pilz ist als Aufdecker für uns unverzichtbar! Offenbar investierte die grüne Basis diese Minute nicht. Da hätte sie nämlich auch erkennen müssen, dass ihr eigener interner Zustand – Zerrissenheit der wichtigen Wiener Grünen rund um Maria Vasilakou oder die Entfremdung zwischen West- und Ost-Grünen oder das Fehlen eines zentralen Themas – ein solcher Eklat politischen Selbstmord gleichkommt.
Denn ein wahlkampftechnischer Glücksfall wie ihn eben die Grünen in Deutschland erfahren, ist für die Schwesterpartei für den Herbst nicht in Sicht. Die Kartellvorwürfe an die deutsche Autoindustrie und deren Nähe zu den Regierenden kommen für sie wie gerufen: Breitenwirksamer geht’s kaum – jeder Wähler ein potenzieller Autokäufer.
In Österreich könnten am Ende des Tages, des 15. Oktober nämlich, alle verlieren: Den Grünen droht ein Rückfall um Jahrzehnte, Pilz selbst beim Sprung über die Vier-Prozent-Hürde der Verlust seines bisherigen politischen Gewichts.
Und auch Lebendigkeit und Attraktivität des Parlaments kann verlieren: Wenn sich Grüne, Pilz und Neos kanibalisieren droht ein Rückschritt in das traditionelle Rot-Schwarz-Blau-System.
Auch das ein Treppenwitz der Geschichte: Der bisher als Kämpfer gegen dieses System ausgewiesene Pilz könnte zu dessen Einzementierung auf Jahre hinaus beitragen.
ORF YouTube https://www.youtube.com/watch?v=IKPT7THaaY0&t=13s