Wieder ist ein Nationalfeiertag vorüber, allerdings kein 26. Oktober wie jeder andere, sondern: Der erste ohne gewähltes Staatsoberhaupt; der erste, an dem Politiker das Wort „Bürgerkrieg“ in den Mund genommen haben, so oder so, ohne Rückbezug auf Österreichs Geschichte sondern mit Zukunftsverweis. Vielleicht ist dem einen oder anderen Besucher des Bundesheerfestivals in Wien der groteske Zusammenhang mit den Panzern auf der Wiener Ringstrasse aufgefallen. Vielleicht auch nicht. Jedenfalls der erste 26. Oktober auch, an dem ein Wettstreit um die Deutungshoheit des Begriffs „Patriot“ ausgebrochen ist.
Und das obwohl wahrscheinlich eine Minderheit in Österreich weiß, warum es diesen 26. Oktober überhaupt gibt. Staatsvertrag, Abzug des letzten Soldaten der Alliierten Mächte aus Österreich, Verabschiedung des Gesetzes zur immerwährenden Neutralität im Parlament. Suchen Sie es sich aus. Bei jeder der zwei falschen Antworten werden Sie in bester Gesellschaft sein.
Nehmt alles nur in allem (frei nach William Shakespeare), so hatte der vaterlandsliebende, um nicht zu sagen patriotische, Österreicher an diesem 26. Oktober die Wahl:
a) er konnte sich fürchten – vor dem „nicht unwahrscheinlichen Bürgerkrieg“, den die FPÖ auch in den letzten Jahren immer kommen sah.
b) er konnte sich über künftige Schreckensszenarien lustig machen. Denn die doppelte Verneinung des Heinz Christian Strache heißt nur, dass er einen Bürgerkrieg für wahrscheinlich halte. Entweder es ist etwas unwahrscheinlich oder wenn nicht, dann ist es wahrscheinlich. So viel Deutsch muss sein!
c) Er kann alles zusammen ignorieren – auf die Gefahr hin, dass sich dies als ganz großer Fehler herausstellt.
Das Dumme ist nur, nichts davon hilft in der gegenwärtigen Situation weiter. Erst im Rückblick auf diesen Nationalfeiertag in weiß Gott wie vielen Jahren wird sich zeigen, welche Wahl die richtige war.
Was also würde weiter helfen? Zum einen einmal Redlichkeit bei der Verwendung bestimmter Begriffe, zum anderen die Forderung an bestimmte Politiker, nicht fortgesetzt die Bürger hinters Licht zu führen.
Beispiel 1: Bürgerkrieg wird als bewaffneter Konflikt zwischen verschiedenen Gruppen in einem Staat definiert. Zusammenstöße, Ausschreitungen, Demonstrationen machen noch lange keinen Bürgerkrieg. Man soll das nicht so eng sehen? Lernen Sie Geschichte, würde Bruno Kreisky sagen. Er war Zeuge des Bürgerkriegs der dreißiger Jahre in Österreich.
Spricht Strache also von einer so schwachen Republik, dass ihre Organe illegale Waffenlager verschiedener Gruppen nicht rechtzeitig erkennen würden? Oder spricht er von einer Exekutive, die wie in den dreißiger Jahren bereits so unterwandert sein wird, dass sie Konflikte, die einer bestimmten Partei nutzen würden, nicht rechtzeitig im Keim erstickt? Oder glaubt er zu wissen, wie in diesem Österreich, in dem nichts auf bewaffnete Auseinandersetzungen hindeutet, diese anzuzetteln wären?
Patrioten wiederum werden als Menschen definiert, die „ihr Land lieben“. Aber lieben nicht auch die Kritiker an den aktuellen Zuständen, die in Österreich gerne und häufig als „Netzbeschmutzer“ tituliert werden, ihr Land? Muss man um der Liebe zu diesem Österreich willen seine Hände am Rücken binden, um ja nicht die Finger auf wunde Punkte zu legen? Wer sind da die Patrioten? Jene, die mehr aus Bequemlichkeit denn Liebe zu Fehlentwicklungen schweigen oder jene, die ihr Land durch Korrekturen „vorwärtsbringen“ bringen möchten? Es ist nicht anzunehmen, aber vielleicht doch zu hoffen, dass Christian Kern sie bei seiner Rede am Nationfeiertag im Sinn hatte hatte, als er meinte, Patrioten möchten „ihr Land gemeinsam vorwärtsbringen“. Ohne Selbstreflexion kann nichts irgendwohin gebracht werden – weder vor- noch seitwärts.
Beispiel 2: Im Zusammenhang mit dem jüngst ausgebrochenen Streit um abgelehnte Asylwerber, die das Land nicht verlassen, fiel Innenminister Wolfgang Sobotka folgender Vorschlag ein: Abgelehnte Asylwerber, die sich nicht außer Landes bringen lassen, sollen keine Grundversorgung mehr bekommen. Alle, die nicht rechtzeitig ausreisen, sollen Verwaltungsstrafen von 5.000 bis 15.000 Euro aufgebrummt bekommen.
Kann Sobotka irgendjemanden erklären, wie ein Asylwerber nach Entzug der Grundversorgung je diese Strafen begleichen soll? Und was mit ihm geschieht, wenn er einen „Ersatzarrest von bis zu sechs Wochen“ absolviert hat? Wie viele Male Ersatzarrest gibt es denn? Rechnet Sobotka damit, dass NGOs oder Mitglieder der Zivilgesellschaft das Geld für einen total mittellosen Asylwerber auslegen? Oder rechnet er damit, dass abgelehnte Asylwerber auf diese Weise in die Kriminalität gedrängt werden, um zu überleben, und dann für die Polizei schneller greifbar sein werden?
Da muss sich ein Denkfehler eingeschlichen haben. Denn die Vorstellung, dass ein Innenminister, dessen Aufgabe es ist, Kriminalität zu unterbinden, wissentlich Menschen jede Überlebensmöglichkeit (mittels Entzug der Grundversorgung) nimmt und ihn somit kriminell werden lässt, ist doch absurd. Oder?
Da der Innenminister, wie er vor drei Tagen im „Standard“ anklingen ließ, ohnehin nicht weiß, von wie vielen Menschen er hier spricht, liegt die Annahme nahe: Hier handelt es sich wieder um reine Abschreckungstaktik, weil der Vollzug der Maßnahme gar nicht möglich ist. Wenn es um Abschreckung geht, hat Logik keinen Platz mehr. Nur die Hoffnung, die Wähler würden das nicht merken.
Damit ist der Bogen zum Bürgerkrieg und diesem Nationalfeiertag geschlagen: Die Unruhe im Land hat gar nichts mit der realen Situation zu tun, sondern mit der mangelnden Redlichkeit etlicher Politiker. Um des vermeintlichen tagespolitischen Vorteils willen wird die Angst vor der Zukunft geschürt.
Das erinnert fatal an das Ausländervolksbegehren der FPÖ 1992: Bei einer innerparteilichen Diskussion darüber hat Jörg Haider nach Berichten einer Teilnehmerin auf den Einwand, es könnte ja zu Zusammenstößen und Verletzten kommen, gemeint: Das müsse man eben in Kauf nehmen.
Mikekilo74 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Austrian_Flag.jpg