Vor den Medien sind nicht alle gleich.

Medial verdienen dieser Tage zwei Ereignisse, die nicht unmittelbar miteinander zu tun haben, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. In beiden Fällen geht es allerdings um Schutz von Personen. Einmal im strafrechtlichen Sinn, einmal im medienrechtlichen Sinn.

Fall 1 betrifft die ehemalige Abgeordnete der Grünen zum Nationalrat, Sigi Maurer. Ein Richter sprach sie schuldig, weil sie den Absender von obszönen Direktnachrichten auf Facebook an sie mit vollen Namen und Adresse veröffentlicht hat. Sie wurde von ihm auf üble Nachrede und Kreditschädigung geklagt – mit dem Argument, er selbst habe diese Nachrichten an sie gar nicht geschrieben. Der Richter schenkte dem zwar keinen Glauben, verurteilte Maurer aber dennoch, weil sie sich bei dem Kläger nicht erkundigt habe, ob er tatsächlich der Absender gewesen sei.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig: In einem Interview mit Armin Wolf in der ZIB 2 hielt der bekannte Medienrechtler Michael Rami zwar fest, dass Maurer hier eindeutig das Opfer sei, sie aber, obwohl keine Journalistin, hier mit journalistischer Sorgfalt hätte vorgehen müssen. Dass die verbalen Angriffe vom Computer des Klägers und seiner Facebookseite aus gestartet wurden, zählt offenbar nicht, wenn der Betreiber sagt: „Ich war’s nicht“.

Maurer ließ nach dem Urteil via Twitter wissen:

“Ich wehre mich gegen extrem sexistische, erniedrigende Nachrichten und werde dafür verklagt. Der Richter befindet, Herr L. lügt und er glaubt alles was ich sage. Trotzdem werde ich verurteilt. Nun gut, dann gehen wir eben in Berufung. Bis nach Straßburg wenn es sein muss.”

Selbst wenn Maurer die Causa nicht vor den Europäischen Gerichtshof bringen muss, sondern der Instanzenzug zum Obersten Gericht in Wien genügt, sollten im Laufe des weiteren Verfahrens einige grundsätzliche Dinge geklärt werden: Was ist im Internet zulässig, was nicht? Sind verbale Übergriffe dort harmloser zu bewerten, als die Veröffentlichung der Identität der Angreifer?

Bedeutend ist die Verurteilung des „Opfers“ Maurer auch deshalb, weil sie alle Nutzer der sozialen Medien einmal treffen kann.

Das gleiche gilt für Fall 2, der überdies beweist, dass eine rechtliche Klärung noch lange nicht genügen muss. Die Regeln für den „Persönlichkeitsschutz“ sind in Österreich klar. Wie die Tageszeitung „Die Presse“ im Zusammenhang mit einem tödlichen Motorbootunfall auf dem Wörthersee erläuterte, verbietet das Mediengesetz identifizierende Berichte. So kam es, dass der Name des Beschuldigten nie genannt wurde, obwohl seine Identität von Anfang an bekannt war und der Prozess wegen grob fahrlässiger Tötung in Klagenfurt später auch öffentlich war. „Die Presse“ damals: „Wann jedoch genau der Schutz des Einzelnen vor einer Preisgabe seiner Identität Vorrang hat vor dem berechtigten Interesse der Öffentlichkeit, diese zu erfahren, ist eine schwierige Abwägungsfrage“.

Diese haben sich im Fall 2 erst die „Kronen Zeitung“, dann „Österreich“ am vergangenen Wochenende offenbar erst gar nicht gestellt. Mit vollem Namen und Bild wurde von der Anzeige gegen einen ORF-Moderator berichtet. Das macht den Fall 2 für die Allgemeinheit so wichtig. Derart an den öffentlichen Pranger gestellt zu werden, kann eigentlich jedem passieren – wie jenem Asylwerber, der kürzlich vom Klubchef der FPÖ, Johann Gudenus, fälschlich der Terrorismus-Kontakte beschuldigt wurde.

Bevor sich Roman Rafreider, der ORF-Moderator, am Montag selbst öffentlich zu den Vorwürfen geäußert hat, hätte er nicht genannt werden dürfen. Denn laut Mediengesetz ist die Bekanntgabe der Identität nur in besonderen Fällen erlaubt. Eben nur dann, wenn die Öffentlichkeit ein besonderes Interesse an der Veröffentlichung hat. Das kann im Fall eines ORF-Moderators, dem seine Ex-Freundin per Anzeige schwere Vorwürfe gemacht hat, wohl nicht der Fall sein.

Via Austria Presse Agentur wies Rafreider dann die Vorwürfe der „häuslichen Gewalt“ zurück. Er wies alle Medien darauf hin, dass die Berichterstattung in der „Kronen Zeitung“ in dieser Form nicht stimme. Bei einer Klage wegen Verletzung des Persönlichkeitsschutzes sieht das Medienrecht eine Entschädigung bis zu 20.000 Euro vor.

Auch am Dienstag – allerdings nach der öffentlichen Stellungnahme des ORF-Moderators – ließ „Österreich“ nicht locker: Wieder wurde ein Bild Rafreiders auf die Titelseite geknallt mit dem Titel „Neue Vorwürfe gegen Rafreider“ und „ORF-Star wehrt sich: Stimmt nicht.“

Einmal abgesehen davon, dass Rafreider keine der Hauptnachrichtensendungen des ORF moderiert, ist das überbordende Interesse am Wiener Boulevard, ihn in die Öffentlichkeit zu zerren, unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Vorwürfe, zu hinterfragen. Ebenso wie die Tatsache, wie Kopien von SMS und anderen Nachrichten aus den Ermittlungsakten den Weg von der Polizei in die Zeitungen gefunden haben. Was sind in diesem Fall die Motive, eine Einzelperson derart öffentlich vorzuführen. Ob Rafreider aus der Veröffentlichung gravierende Nachteile in seiner Berufsausübung erwachsen, was an und für sich verboten ist, wird sich erst weisen. Vorläufig wurde er auf Urlaub geschickt.

Am Mittwoch dann die nächste Folge. Da wird dann auch, noch immer in großer Aufmachung, von weiteren Facebook-Eintragungen Rafreiders berichtet, die seine Ex-Freundin vorlegte. Gemäß der Verurteilung Sigi Maurers könnte der ORF-Moderator nun behaupten, die seien gar nicht von ihm.

Fall 2 ist so seltsam wie das Urteil im Fall 1. Wird hier eine Kampagne gegen einen ORF-Mitarbeiter abgespult während es eigentlich um den ORF geht? Und wenn ja, mit welchen Interessen und wem nützt das? Der Öffentlichkeit sicher nicht.

Sie hat aber die Verletzung des Persönlichkeitsschutzes per Bild und Schlagzeile zu interessieren. Denn diese könnte jederzeit jeden normalen Bürger treffen. Es sollte niemand glauben, er sei davor geschützt – es sei denn, man ist ein prominenter Medienmanager oder der Bruder eines prominenten Politikers wie im Fall eines steirischen Arztes, der von seinen Kindern auf Misshandlung geklagt worden war oder ein prominenter Arzt wie jener Chirurg im AKH, der zuerst suspendiert und dann gekündigt wurde.

In jedem Fall ist Rafreiders Ruf beschädigt. Auch dann, wenn die Klage nicht weiter verfolgt werden sollte. Der normale Bürger aber darf sich fragen, warum bei manchen der Persönlichkeitsschutz greift, bei anderen nicht. Im Medienrecht wird er die Antwort so leicht nicht finden. Also bleibt ihm die Hoffnung, nie am Wiener Boulevard in der Öffentlichkeit zu landen.

WilliamCho/pixabay

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