In welcher Welt werden wir Mittwoch nächster Woche aufwachen? Dann werden die Ergebnisse der Zwischenwahl des US-Kongresses vorliegen. Das gesamte Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats stehen auf Bundesebene zur Wahl. Dann werden wir wissen, ob Amerika US-Präsident Donald Trump eine Lizenz zur Bösartigkeit, zur Lüge, zur Aggression, zu Angriffen auf Menschen und Institutionen, zu Nationalismus und autoritärem Stil ausgestellt hat oder ob es sich – manche meinen, im letzten Moment – doch für Kontrolle und liberale Demokratie entschieden hat. Jedenfalls jene knapp 50 Prozent der Amerikaner, die an Wahlen überhaupt teilnehmen oder teilnehmen können, sofern sie nicht durch allerlei Tricks von der Ausübung ihres Wahlrechts abgehalten werden.
Wer den Wahlkampf in den letzten Tagen verfolgt hat, der weiß, dass die Entscheidung vor allem von der Wahlbeteiligung abhängen wird. Die Situation ist derart aufgeheizt, dass laut einer jüngsten Umfrage 80 Prozent der Amerikaner nach der Serie der Briefbomben an eine Reihe von Gegnern Donald Trumps und nach den Morden in einer Synagoge in Pittsburgh, Pennsylvania, fürchten, Aggressivität und unzivilisiertes Benehmen in der Politik werden schließlich zu Gewalt führen.
Gegner und Kritiker Donald Trumps hatten in den letzten Tagen nur eine Botschaft in ihren Reden: Geht wählen! Geht wählen! Geht wählen! Vote! Vote! Vote! Ganz sicher, dass die Botschaft ankommt, scheint man sich auf Seiten der Demokraten nicht zu sein. Die Aufrufe von Oprah Winfrey über Barack Obama bis zu vielen Freiwilligen, die von Tür zu Tür gehen, haben fast etwas Verzweifeltes an sich. Vote! Das Wahlrecht ist in den USA von Staat zu Staat unterschiedlich und es gibt vielfache Möglichkeiten, Afro-Amerikaner, Minderheiten und Gegner von den Urnen fern zu halten.
Die „blaue Welle“, also der Zustrom zu den Demokraten, scheint in letzter Zeit schwächer geworden zu sein. Es ist keinesfalls ausgeschlossen, dass beide Häuser des Kongresses in der Hand von Trumps Republikanern bleiben.
Wenn dem aber so sein sollte, dann muss man zur Kenntnis nehmen: Amerika hat sich entschieden für einen Präsidenten,
- der sich gerühmt hat, in New Yorks Luxusmeile 5th Avenue jemanden erschießen zu können und dennoch gewählt zu werden.
- der öffentlich einen Senator lobte, weil dieser einen Journalisten tätlich angegriffen hat.
- der die Medien als „Volksfeinde“ delegitimieren will.
- der in einer Rede im Weißen Haus zu seiner neuen Einwanderungspolitik diesen Donnerstag minutenlang immer das Gleiche sagte, immer wieder den Eindruck erweckte, als verstünde er gar nicht, was er da eben vom Blatt gelesen hat und sich deshalb in ständige Wiederholungen über die „Karawane“ von Flüchtlingen aus den gewaltätigen südamerikanischen Staaten, die durch Mexiko in Richtung USA zieht.
- der zur Ermordung des Journalisten Jamal Ahmad Khashoggi im Konsulat Saudi Arabiens in Instanbul folgendes zu sagen hatte: „Alles was sie gemacht haben, ging daneben. Sie haben es sicherlich schlecht ausgeführt. Totales Fiasko. Das war ein schlechter Plan. Irgendwer hat das wirklich versaut. Die Saudis haben ein Verbrechen verpfuscht. Das Konzept war sehr schlecht und es wurde erbärmlich ausgeführt. Die Vertuschung war eine der schlechtesten in der Geschichte der Vertuschungen. Das war ein schlechter deal. Er hätte nie passieren dürfen. Irgendwer hat’s verpfuscht.” Und: “The execution was bad”. Bei diesem Satz kann man sich aussuchen, ob Trump die Exekution Khashoggis oder die Ausführung des Plans gemeint hat. Die Wiederholungen sind übrigens original Trump. Kein Wort der Verurteilung der Ermordung des Journalisten, nur Kritik an der schlechten Ausführung. Saudis hätten sich etwas Besseres einfallen lassen sollen und das dann auch noch besser vertuschen.
Werden sich die Amerikaner wirklich für jemanden entscheiden, der über den Mord an einem Journalisten eine Sprache wählt, die man sonst nur von den sogenannten „hit jobs“, also Auftragsmorden, der Mafia-Bosse (in den Filmen) kennt? Oder – weiter- für einen Präsidenten,
- der ein Meister der Ablenkung ist und damit auch jetzt ungebrochen Erfolg hat, weil die “Feinde des Volkes”, also die Medien, sein Spiel betreiben. So geschehen auch in den letzten Tagen wieder: Da die Briefbomben offenbar von einem seiner fanatisierten Anhänger verschickt worden war und der Überfall auf die Synagoge eindeutig antisemitisch motiviert war, beides Ereignisse, aus denen er keinen politischen Profit schlagen konnte, lenkte er prompt mit der Ankündigung ab, den 14. Zusatz zur amerikanischen Verfassung (wer in den USA geboren wird ist automatisch US-Staatsbürger) per Erlass zu Ungunsten von Nicht-Amerikanern zu ändern. Die Öffentlichkeit und die Medien hatten ein neues Thema, mit Zuwanderung und Migration übrigens eines, das Trump nützt und wenige Tage vor den Zwischenwahlen unbezahlbar ist.
Saudi Arabien, Khashoggi, Briefbomben, Tote in der Synagoge, das war gestern. Die Taktik funktionierte wieder: Es entstand eine heftige Diskussion, ob der Präsident überhaupt das Recht hätte, einen Verfassungszusatz zu ändern. Einige hochrangige Republikaner wie der Vorsitzende des Repräsentantenhauses,. Paul Ryan, griffen sich an den Kopf: Nie und nimmer könne ein Präsident das Geburtenrecht per Erlass ändern. Andere wie kündigten an, sie werden Trump das entsprechende Gesetz verschaffen.
- der instinktsicher merkt, dass er von einer eventuellen Blamage mit einem anderen Vorschlag ablenken muss. Das mit der Verfassung und der Aufhebung des Geburtenrechtes für Kinder von Nicht-Amerikanern war wohl nicht sehr durchdacht. Deshalb rief Trump am Donnerstag ins Weiße Haus, um eine neue Einwanderungspolitik für die „Karawane“ zu verkünden, sofern sie die Südgrenze der USA erreicht: Entsendung von 5.000 bis 15.000 Soldaten an die Grenze, Errichtung von Zeltlagern für alle, Entscheidung über Asylanträge an Ort und Stelle. Die Medien haben ein neues Thema, das bei Trumps Wählern und Sympathisanten populär ist. Trumps Taktik ist wieder aufgegangen.
Sollten die Republikaner am Dienstag erfolgreich sein, wird sich Trump dies als seinen Sieg zuschreiben. Dann könnte Amerika mit einem Präsidenten aufwachen, der völlig „unhinged“ ist, also völlig aus dem Gleichgewicht gerät. Die Demokraten werden sich diese Niederlage selbst zuschreiben müssen. Und die Welt wird zur Kenntnis nehmen müssen, dass Amerika diesen Präsidenten eben verdient. Der Rest der freien Welt wird aber wissen: Demokratie ist mehr als nur eine Wahl, aber ohne Wahl ist Demokratie nichts.
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