Die Meldung ging um die Welt oder wenigstens um Europa. Sie hätte eigentlich einen Aufschrei auslösen müssen, der den europäischen Werte-Heuchler durch Mark und Bein hätte gehen müssen. Allein, der Aufschrei blieb aus. Offizielle Reaktionen von der EU-Kommission sind nicht überliefert, soweit das festzustellen war.
Die Meldung: In Dänemark darf die Polizei Flüchtlingen/Asylwerbern Wertgegenstände abnehmen. Offizielle Begründung: Es sollten damit ihre Unterkünfte finanziert werden. Und wie zum Hohn wurde versichert, Eheringe werde man nicht konfiszieren.
Man muss schon sehr unsensibel sein, um nicht sofort Bilder aus der NS-Zeit vor Augen zu haben, die zeigen, wie Juden alles von Wert abgenommen worden ist. Man muss schon sehr unsensibel sein, um da nicht den Atem anzuhalten. Man muss schon sehr abgestumpft sein, um nicht nach Protesten in Brüssel und den anderen EU-Mitgliedsstaaten zu suchen. Zur eigenen Beruhigung wenigstens.
Doch Europa scheint – wieder einmal – zu schlafen. Und die Augen vor Entwicklungen zu verschließen, die zuerst verharmlost und dann viel zu spät verurteilt werden. Wo sind die „Nie Wieder!“- Aktivisten, die bei jedem blöden NS-verdächtigen Spruch intellektuell herausgeforderter FPÖ-Vertreter eine Renaissance des menschenverachtenden Regimes wittern. Das dänische Gesetz und die dänische Praxis hätte sie auf den Plan rufen müssen.
Doch Europa schweigt. Was hat das ganze Werte-Getue – acht Stunden Unterricht in Österreich inklusive – denn für eine Berechtigung, wenn solche Praktiken in der EU geduldet und sogar stillschweigend akzeptiert werden?
Die einzig richtige Reaktion kam von einem dänischen Polizisten, dessen Identität jedoch offenbar nicht richtig geklärt ist, in einem Facebook-Eintrag:
„Stellt sich die Regierung vor, dass ich an der Grenze stehe und das Gold aus dem Mund jener herauspule (sic!), die versuchen, das Letzte zu schützen, was sie haben?“ Seine Großeltern, die in Dänemark im Widerstand gegen Hitler-Deutschland waren, würden sich im Grab umdrehen, wenn sie wüssten, „wem ich hier zu ähneln beginn“. So wurde es jedenfalls in der „Süddeutschen Zeitung“ berichtet: http://www.sueddeutsche.de/politik/daenemark-ich-bin-nicht-polizist-geworden-um-fluechtlingen-ihr-eigentum-zu-rauben-1.2794767
Hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem dänischen Amtskollegen protestiert? Man würde es gerne wissen. Haben die Vertreter der Kirchen in Deutschland den Dänen ins Gewissen geredet? Man würde es gerne erfahren.
Europa hat schon einmal geschlafen, verharmlost, weggeschaut. Aber da gab es keine Wertegemeinschaft, keine Europäische Union. Wenn sie zu Dänemark schweigt, könnte sie demnächst auch zu Polen schweigen. Seit der letzten Wahl befindet sich Polen im Moment auf einem ganz gefährlichen Weg, was man in Polen selbst offenbar schneller begriffen hat als in Brüssel. Das signalisierten jedenfalls die Wortmeldung von Ex-Präsident Lech Walesas und die Demonstrationen, an denen auch Wähler der jetzt regierenden Partei Jarosław Kaczynskis teilnahmen. Diese haben sich wenigstens noch ein Sensorium für die Gefahren der Demokratie bewahrt. Eines, das der EU als gesamtes offenbar abhanden gekommen ist.
Es kommt immer darauf an, die einzelnen Punkte in einer geschichtlichen Entwicklung zu verbinden, um zu den richtigen Einschätzungen zu gelangen: Das war in den 30iger Jahren so und Europa hat seine Unfähigkeit „to connect the dots“, wie die Angelsachsen sagen, bitter gebüßt. Und diese Gefahr besteht auch jetzt: Ungarns autoritäre Neigungen, Polens brutaler Umgang mit der geltenden Verfassung, Dänemarks unerträglich zynische Interpretation von „Menschenrecht“ – und als nächstes?
Nicht nächstes Jahr, nicht in fünf Jahren – aber irgendwann könnte es wieder einmal heißen: Während Europa schlief. . .
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