Wer fürchtet sich vor einem Flachland-Napoleon?

Wir sollten wieder mehr Sinn für die Relationen in der österreichischen Innenpolitik entwickeln. Er ist uns irgendwie verloren gegangen. Einen der Gründe nennt der Chefredakteur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Dänemark, Ulrik Haagerup, in seinem Buch „Constructive Journalism“: „Alles muss dramatisch sein.“ In einem Land wie Österreich, dem zum Glück meist die wirklich dramatischen politischen Ereignisse erspart bleiben, überhaupt.

Wahrscheinlich machen wir aus reiner Langeweile alles zu einer Sensation. Nur so ist es zum Beispiel erklärbar,  dass Landeshauptmann Hans Niessl , den man mit einiger Berechtigung als Flachland-Napoleon sehen kann, eine Bedeutung erhält, die in keiner Relation zu seiner Verwaltungseinheit für 277.569 Österreicher steht.

Niessl untergräbt die Autorität des Bundeskanzlers, stößt die Unterrichtsministerin vor den Kopf, bricht Tabus in der SPÖ! Na, und? Wenn er glaubt, so Aufmerksamkeit erregen zu können, bitte! Das macht ihn mit seinen 3,5 Prozent Anteil an der Gesamtbevölkerung auch nicht bedeutender. Nur die völlig unverhältnismäßige Reaktion der Medien und der anderen Parteien tut dies.

Gut, Niessl will nichts von einem nationalen Schulterschluss in der Frage der Aufteilung der Flüchtlinge in den Bundesländern wissen und tritt als einziger Landeshauptmann gegen das Zugriffsrecht des Bundes auf die Gemeinden auf. Welche Relevanz für das Asylproblem in Österreich hat das über den Gefallen hinaus, den er damit seinem Koalitionspartner FPÖ zu machen glaubt?

Auch ist die Aufregung über seine Koalition mit eben dieser FPÖ im schönen Burgenland ist noch immer groß. Die richtige Reaktion darauf aber wäre auch: Na, und? Und die Einberufung eines außerordentlichen Parteitags der SPÖ zur Aufhebung des seinerzeitigen Beschlusses, dass diese Partei „auf allen Ebenen“ eine Regierungszusammenarbeit mit der FPÖ ausschließe. Das wäre eine politisch saubere Vorgangsweise gewesen, worauf man Niessl getrost in seine kleine Exprementierstube entlassen könnte.

So aber schrieb man ihm die Dramatik eines „Tabu-Bruchs“ zu, an der ab sofort jede blaustichige Reaktion in der SPÖ gemessen wird. Ein „ranghoher Landespolitiker“ ist Niessl nur weil die Bundesverfassung eben jeden Landeshauptmann gleich hoch einstufen muss. In der Realpolitik sollte man dem burgenländischen Landeschef ruhig jenes Gewicht geben, dass er mit der kleinen Zahl seiner Untertanen auf die innenpolitische Waage bringt.

Aber nein! Weil Niessl die Arbeitsgruppe der rot-schwarzen Regierung zur Bildungsreform verlassen hat, sahen alle diese schon als „Dead Group Working“, Bundeskanzler Werner Faymann und Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek desavouiert und die Reform gescheitert. Wenn wir uns irgendeinen Sinn für Relationen bewahrt hätten, wüssten wir heute schon, dass die Reform aus ganz anderen Gründen -  Führungsschwäche und mangelnde Bildungskompetenz, Planlosigkeit und Mangel an Ideen etwa - scheitern kann und vielleicht wird. Sicher aber nicht daran, dass der ehemalige Hauptschullehrer Niessl nicht am Verhandlungstisch sitzt. Sollte da nicht eher über die Inhalte der Reformarbeit, welche die Arbeitsgruppe bis 17.November zu stemmen hat, berichtet werden als über ein Sesselrücken? Das schließt übrigens den zornigen Abgang des Niederösterreichers Erwin Pröll mit ein.

Nochmals nein! Ganz im Sinne Haagerups wird ein Schmalspur-Landeshauptmann zur „Geschichte“ gemacht, weil diese von einem „Opfer“ (SPÖ-Chef Faymann), einem Konflikt (SPÖ-interner Streit) und einem Drama (Mangel an Disziplin in der Partei) handeln muss, um für eine „gute“ Geschichte gehalten zu werden.

Für die Bürger, auch die Burgenländer, ist das gänzlich ohne Bedeutung. Und eigentlich haben wir Journalisten nicht das Recht, unser Gelangweiltsein durch Skandalisierungen am falschen Objekt zu kompensieren.

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