Wer am Mittwoch – absichtlich oder zufällig – die zweite Budgetrede von Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) gehört hat, wird wohl seinen Ohren nicht getraut haben. Es war mit Sicherheit die eigenartigste Budgetrede seit langem – von Inhalt und Inszenierung her. Und sie provozierte die Frage: Gibt es das rot-schwarze Kabinett Christian Kern I eigentlich noch? Oder hat es sich bereits aufgelöst und niemand hat’s bemerkt?
Eigenartig vom Inhalt her, weil Schelling eine Provokation des Koalitionspartners an die nächste reihte, manchmal offen, manchmal indirekt, vielfach direkt gegen Kern gerichtet, zwei Plätze links von ihm auf der Regierungsbank. Kaum verhohlen kritisierte er dessen „New Deal“ ,in bester Dialektik gleichzeitig in eine Unterstützungserklärung verpackt. Er stehe dazu, so Schelling, aber nicht so. Gar nicht verhohlen beklagte er die Dutzenden Milliarden, die der Bund der ÖBB zur Verfügung gestellt hat – unter Generaldirektor Kern und Verkehrsministerin Doris Bures, zwei Reihen über ihn jetzt im Sitz der Nationalratspräsidentin. Ganz direkt verlangte Schelling zwei Mal die Abschaffung der kalten Progression wie sie in dieser Form von der SPÖ nicht gewollt wird.
In der Erinnerung taucht keine Budgetrede einer Koalitionsregierung auf, bei der der Koalitionspartner die ganzen knappen 60 Minuten lang nicht einmal geschlossen Beifall zollte. Diese Verweigerung war – auch bei SPÖ-affinen Passage – so geschlossen, dass sie nur als Konsequenz einer Kluborder aufgefasst werden konnte. Klubobmann Adreas Schieder muss den Zwischenapplaus verboten haben. Hie und da, vielleicht ein oder zwei Mal, dürfte ein Abgeordneter nicht ganz bei der Sache gewesen sein, als er trotzdem geklatscht hat. Unterbrochen wurde Schellings Rede nur vom Beifall der eigenen Fraktion und auch das gelegentlich mit wenig Enthusiasmus.
Also mit wem immer Kern und die SPÖ einen „new deal“ abschließen wollten, mit dem Koalitionspartner ÖVP sicher nicht. Diese Budgetrede war nicht geeignet, gemeinsame Anstrengungen und gemeinsamen Reformwillen zu vermitteln. Wie ungeeignet sollte sich dann während der Debatte über das Budget am nächsten Tag zeigen. So viel gegenseitige Zurechtweisungen von den Sitznachbarn auf der Regierungsbank, also von Bundes- und Vizekanzler, hat es noch nie gegeben. So viel offene Aversion zwischen den Fraktionen der beiden Koalitionsparteien bei aufrechter Regierung und ohne fixierten Neuwahltermin auch nicht.
Also, wer regiert jetzt eigentlich? Wenn ein Budget die in Zahlen gegossene Politik einer Regierung sein soll, dann lässt dieses den Zuhörer verwirrt zurück. Die Politik der gesamten Regierung sicher nicht. Die Politik wie sie die ÖVP gerne hätte ja auch nicht, denn dazu ist der Juniorpartner zu schwach. Die Politik der SPÖ kann dieses Budget auch nicht sein, denn Schelling hat zu oft das Wort „sparen“ in den Mund genommen, nachdem Kern vor einigen Wochen kundgetan hat, er wolle davon eigentlich nichts mehr hören.
Also wer regiert? Während die rot-schwarze Koalition mit der Inszenierung am Mittwoch im Parlament jeden wissen ließ, dass man eigentlich miteinander wenig bis nichts zu tun haben möchte, herrscht auch bei der ÖVP Unklarheit. Reinhold Mitterlehner hatte vor Monaten einmal flapsig gemeint, er würde an dr Spitze der ÖVP niemandem im Weg stehen. In den letzten Tagen hatte es den Anschein, als wäre er bereits abgetreten, aber niemand hat’s bemerkt. Außenminister Sebastian Kurz hat auf allen Kanälen den neuen Spitzenkandidaten und ÖVP-Chef gegeben, sich zu diesem und jenem geäußert, seinen Wunschtermin für vorgezogene Nationalratswahlen mit Herbst 2017 fixiert und offenbar Sondierungsgespräche mit Neos und Irmgard Griss über eine Kooperation mit der ÖVP geführt. Zu all den Medienberichten hat Mitterlehner geschwiegen. Während alle über Kurz und Kurz über alles redete, schien beinahe eine Vermisstenanzeige – „Gesucht wird amtierender Vizekanzler und ÖVP-Obmann – angebracht.
Also ist die Frage, wer regiert zur Zeit gar nicht so leicht zu beantworten. Wenn sich die SPÖ so wenig in das Budget 2017 eingebracht hat wie es am Mittwoch im Parlament den Anschein hatte, dann hat sie die Führung in der Regierung abgegeben. Mitterlehner hat sie aber auch nicht übernommen.
Möglich, dass wir bereits spanische Verhältnisse haben und keiner hat’s gemerkt. Spanien kommt auch schon seit Monaten ohne Regierung aus. Das wäre vielleicht gar kein so schlechter Zustand, wären da nicht dringender Reformbedarf vom Arbeitsmarkt über das Pensionssystem und dem veralteten Föderalismus zur Bildungspolitik etwa.
Alles Ladenhüter noch aus einer Zeit, in der Koalitionen bei Budgetreden wenigstens noch den Schein der Gemeinsamkeit wahrten. So gesehen war die Budgetrede für 2017 eigenartig, aber vielleicht ehrlicher als frühere.
Franz Johann Morgenbesser from Vienna, Austria https://www.flickr.com/photos/vipevents/17147292677/ – https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Schelling_Hans-Jörg-9619_(17147292677).jpg