Vor einigen Wochen fand in einer noblen Villa in Döbling einer jener privaten politischen Salons statt, die in letzter Zeit so populär geworden sind. Eine Kandidatin und zwei Kandidaten um die Präsidentschaft, Irmgard Griss also mit Andreas Khol und Alexander Van der Bellen, waren geladen, ihre Vorstellungen zu präsentieren. Der Salon – in des Wortes doppelter Bedeutung – bot im weitläufigen Untergeschoß des Hauses kaum genug Platz. So groß war der Andrang.
Die Diskussion des Kandidaten-Trios nahm ziemlich bald eine kuriose Wendung. Es wurde mehr über den möglichen Rücktritt des Staatsoberhaupts geredet - und darüber wann er unter welchen Umständen gerechtfertigt wäre - als über alle anderen Themen. Über das Zurücktreten philosophieren bevor man überhaupt angetreten ist, das hatte schon den gewissen Charme der Bourgeoisie. Und dann riss plötzlich eine der anwesenden Damen alle aus ihrer gepflegten Neugier sowie Kandidaten und Publikum aus dem selbstzufriedenen Gedankenaustausch.
Sie fände, so meinte die Dame, es befremdlich, dass ein christlicher Politiker wie Andreas Khol im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise davon spreche, dass Österreich nicht der „Mistkübel“ Europas werden dürfe und keiner der beiden anderen Anwärter auf das höchste Amt ihm widersprochen hätte. Der Moderator ersparte allen drei eine Antwort, indem er auf Khols bekannt markante Wortwahl hinwies.
Tatsächlich aber hat die Dame bei einiger Nachdenklichkeit einen Nerv getroffen. Sind wir schon so abgestumpft, dass wir in der Auseinandersetzung um gangbare Wege aus der jetzigen Krisensituation jeden Sinn für die richtigen Begriffe verloren haben? Und wenn im Ausdruck schon alles möglich ist, wie lange wird es dauern bis es auch im Handeln so weit ist?
Tatsächlich greift man sich an den Kopf, wie der Vertreter einer christlichen Partei die Begriffe „Mistkübel“ und Flüchtlinge in Verbindung bringen kann. Die Hand kann aber gleich dort verharren, denn auch ein anderer Begriff hat sich inzwischen durchgesetzt, der in der Wortkombination blanker Unsinn ist. Vom Begriff „Flüchtlingsabwehr“ ist die Rede. Das hat mit übertriebener political correctness nichts zu tun. Diesen Begriff verbietet der Hausverstand.
Flüchtlinge abwehren? Das geht vom Sinn der Wortkombination her schon gar nicht. Es gibt keine internationalen oder nationalen Rechtsvorschriften, die „Abwehr“ von schutzsuchenden Menschen gestatten würden. In unserer Abgestumpftheit nehmen wir den undifferenzierten Gebrauch des Begriffs „Flüchtling“ schon gar nicht mehr wahr. Es entstehen in unseren Köpfen keine Bilder von Blutvergießen, das in dem Begriff „Abwehr“ mitgemeint ist. Und die Bilder, die wir von Menschen auf der Flucht sehen, dienen manchen Bevölkerungskreisen als Rechtfertigung für die Abwehr.
Es können Menschen daran gehindert werden, sich von einem Fluchtpunkt zum anderen zu bewegen, wie dies eben jetzt geschieht. Aber es können Flüchtlinge so wenig „abgewehrt“ werden wie ihnen Schutz verwehrt werden kann.
Wortklauberei, nicht mehr? Vielleicht! Aber wenn wir in unseren Köpfen schon nicht mehr Ordnung halten können, wie dann erst in diesen Zeiten der Krise? Es scheint in letzter Zeit, als könnten die abwegigsten Begriffe verwendet werden, ohne dass irgendwer daran Anstoß nimmt. Da kann Bundeskanzler Werner Faymann plötzlich vom „Reisebüro“ Griechenland sprechen und meinen, dass Griechenland Flüchtlinge nicht auf die Reiseroute nach Deutschland schicken kann – ganz so als ob es sich bei den schutzsuchenden Syrern, Iraker und Afghanen um Krisentouristen und nicht anderes handle. Da kann Robert Lugar, immerhin Obmann einer Oppositionstruppe in österreichischen Nationalrat, am Mittwoch davon sprechen, dass die nach Österreich kommende Flüchtlinge ein Weltbild wie Neandertaler hätten, “die ja Gott sei Dank ausgerottet seien”. Und nicht alle im Plenum reagieren empört. Wenigstens gab es einen Ordnungsruf.
Einen solchen verdienen wir aber alle – einen Ruf zur Ordnung der Gedanken.
Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Andreas_Khol#/media/File:Andreas_Khol_September_2006.jpg