Wir hatten einen Traum!

Im Krieg geboren, die Kindheit in der Nachkriegszeit vom verlorenen Vater überschattet. Gefallen in Erfüllung seiner „Pflicht“. Die Erinnerung an die Besatzungszeit verblasst, aber nicht verschwunden. Der betrunkene englische Offizier wirklich im heißen Badewasser? Oder nur Einbildung? Alle Äpfel im Garten von den Engländern einkassiert? Oder nur Familienlegende? Die Jugend später im Schatten der „Feinde“ jenseits der Karawanken in Kärnten. Lange noch. Viel zu lange.

Und dann die ersten kleinen Freiheiten. Eine Fahrt über die Grenze nach Italien. Ins Ausland! Die ersten Einkäufe dort. Die Aufregung der Wagenkontrollen. Nur ja alles verzollen, sonst Leibesvisitationen. Und plötzlich der abgemagerte junge Bursch, ein unbekannter Verwandter, mit den großen dunklen Augen, erschöpft von der Flucht aus Budapest 1956, ein Studentenführer im Aufstand, gerade noch rechtzeitig den russischen Panzern rechtzeitig entkommen. Später eine Reise nach Prag und wieder Panzer. 1968!

Das war das Europa der jungen Jahre. Viel später dann das große „Friedensprojekt“ Europäische Union und Österreich ein Teil davon. Kein Unbehagen an den Grenzen mehr, später keine Grenzbalken mehr, nur verlassene Gebäude. Die große Freiheit. Bei allen Ärgernissen und Enttäuschungen über „Brüssel“ (was kann die Stadt dafür?) doch immer der Gedanke an das große Friedensprojekt. Der Traum vom grenzenlosen Europa. Gurkenkrümmungen, Dirndlausschnitte, Traktorgrößen, Zigarettenautomaten, Schokoladenamen, Marmelade – was soll’s? Es ist der Friede!

Und jetzt? Wieder Krieg? Dritter Weltkrieg? Die Grenzen dicht, die Balken wieder hinauf, die Stationen wieder bemannt, die Pässe wieder gezückt. Europas Krieg, wenn auch nicht ein europäischer. Leichtes Spiel für die Gegner der Europäischen Union.  Die Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Irak, als Sündeböcke und Vorwand. Immer mehr Aggressionen, immer mehr Angst. Scheitern des grenzenlosen Europas.

Na und? Wir hatten einen Traum. Wenn es für das Friedensprojekt Europa notwendig ist, dann führt doch die Grenzkontrollen wieder ein. Dann warten wir halt wieder. Dann ist der Traum von der freien Fahrt von Sizilien bis Stockholm halt vorbei. Aber geben wir den Gegnern der Europäischen Union nicht die Chance, das als Vorwand für ihre eigene nationalistische Agenda zu benutzen. Und lassen wir nicht zu, dass Europas Regierungen unseren Traum als Entschuldigung für ihre Untätigkeit missbrauchen. Grenzkontrollen für alle, nicht nur für Flüchtlinge.

Das werden wir um des Friedens in Europa willen doch noch aushalten können so lange es notwendig ist.

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Nebenbuhler

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