Obwohl Wahlkampf, und dieser laut Wiens Bürgermeister Michael Häupl eine Zeit der „fokussierten Unintelligenz“ ist, lasst uns einmal die Reden vom SPÖ-Parteirat am Donnerstag ernst und die Aufforderung „Holen Sie sich, was Ihnen zusteht“ wörtlich nehmen.
Man kann diesen Slogan so bewerten wie die „Kritischen Sozialisten“ und manche Medien und von einer Selbstaufgabe der SPÖ sprechen, weil er das Ende der Solidarität als sozialdemokratischen Wert ankündige. Man kann ihn aber auch wie Michael Häupl am Donnerstag sehen: „Das ist kein Programm des individuellen Egoismus, es geht um das Kollektiv“… Alles andere sei blanker Unsinn, so Häupl. Ob so oder so, darüber wird in den nächsten Wochen noch genügend gestritten werden.
Gehen wir die Aufforderung einmal ganz praktisch an. Dabei bietet es sich an, in verschiedene Rollen zu schlüpfen.
Wenn mir als berufstätige Mutter in Niederösterreich etwa der Platz in einem ganztägig und ganzjährig geöffneten Kindergarten zusteht, wo hole ich ihn mir? Sicher nicht bei den zuständigen Stellen im Land, denn dort hält man nicht viel davon, lässt Kindergärten zu Mittag und in den Ferien wochenlang zusperren. Wie in anderen Bundesländern in ländlichen Regionen auch. Wo also ist da was zu holen?
Wenn ich Eltern eines Volksschulkindes bin und finde, diesem Kind steht eine hoch motivierte und fördernde Lehrkraft zu, weil die Grundschule in den meisten Fällen die restliche Schulkarriere, wenn nicht sogar via Freude am Lernen und Leistungswillen den restlichen Lebensweg, bestimmt und habe es mit einer ungeduldigen, herabwürdigenden Lehrkraft zu tun, wo hole ich mir dann die bessere her? Unter den derzeitigen strukturellen Bedingungen sicher nicht in der Direktion oder dem Landesschulrat. Wo also?
Wenn ich Studentin bin und finde, es steht mir die Beurteilung meiner Diplomarbeit in einem angemessenen Zeitrahmen zu, der nicht mit dem Verlust weiterer Semester einhergeht, ich es aber mit einem Begutachter zu tun habe, der einfach monatelang keine Zeit findet, wo hole ich dann einen anderen her? An der Fakultät wohl kaum, weil das Beispiel nicht Schule machen darf. Im Wissenschaftsministerium wohl auch nicht, weil die Universitäten in diesem Bereich autonom sind. Was also habe ich davon, wenn mir etwas zusteht, das ich nirgends abholen kann?
Wenn es mir zusteht, weil ich dazu eben in der Lage bin, über das gesetzliche Pensionsalter hinaus zu arbeiten, es dem Unternehmen jedoch billiger kommt, mich in den Ruhestand zu schicken, wo hole ich mir dann ab, was mir eigentlich zusteht: Das Recht so lange zu arbeiten wie ich will? Bei der Pensionsversicherung sicher nicht, denn dort wundert man sich über jeden, der nicht beim erst möglichen Termin in Pension gehen will. Bei der Gewerkschaft auch nicht, denn dort herrscht die Meinung vor, das Menschen, die im Pensionsalter noch arbeiten wollen, lediglich anderen den Arbeitsplatz wegnehmen - auch wenn es gar keine anderen für diese Arbeit gibt.
Wenn ich als arbeitende Pensionistin der Meinung bin, mir stünden mehr als 30 Prozent meiner Einkünfte als Selbstständige für meine Leistung zu, wo hole ich mir jene Gesetzesänderungen ab, die dies möglich machen würden? Bei der Wirtschaftskammer nicht, denn diese will auf keinen Fall auf meine Beiträge zur Sozialversicherung für Selbstständige verzichten, auch wenn ich deren Leistung in der Pensionsversicherung gar nicht in Anspruch nehmen kann und in der Krankenversicherung nicht will. Beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger auch nicht, weil dieser an den Gesetzgeber, also den Nationalrat , verweist. Dort aber auch nicht, weil dieser auf einen Vorschlag des Hauptverbands wartet etc. etc. etc. Wo also hole ich die fehlenden 20 Prozent ab, wenn ich der Auffassung bin, dass mir mindestens 50 Prozent der Einkünfte zustehen?
Das sind nur einige Beispiele. Ich bin gespannt auf weitere Vorschläge. Wo kann man sich holen, was einem laut SPÖ zustehen würde? Denn dass nur die Partei darüber bestimmt, was dem Wahlvolk zusteht oder nicht, das kann ja nicht gemeint sein. Das wäre dann Frotzelei pur – oder wie Michael Häupl auch am Donnerstag in Richtung ÖVP-Chef Sebastian Kurz gesagt hat: Ehrlich, es gebe bessere „Verarschungen“.
Daher nehmen wir den SPÖ-Slogan 2017 ernst und verlangen wir vor der Wahl auch die konkrete Informationen wo was bei wem zu holen ist. Das würde dann in der Einschätzung schon „ein Stück weit“ (sinnentleertes Modewort aus Deutschland) weiterhelfen.
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