Schleichend und merklich verändern sich die Worte, die die staatstragende Presse benutzt und die sich in die Gehirne der Leser einbrennen sollen. Wo noch vor Jahren geschrieben steht: „Der Islamist gibt sich als Wohltäter aus!“, liest man heute wie selbstverständlich: „Der mutmaßliche Islamist gibt sich als Wohltäter aus!“. Die Tatsache, dass es sich um einen Islamisten handelt, darf der Reporter heute nicht mehr ausschreiben. Das ist zuvor die ureigene Aufgabe des Gerichts. Erst wenn im letztgültigen Urteil richterlich erwähnt wird, dass der bis dahin mutmaßliche Islamist ein „Islamist“ ist, dürfen Journalisten, Politiker und Untertanen öffentlich, laut und deutlich verkünden: Ecce homo!

Jeder Kinderschänder ist somit ein mutmaßlicher Kinderschänder, jeder Dieb ein mutmaßlicher Dieb und jeder Antisemit ein mutmaßlicher Antisemit - bis der Richter endlich entscheidet, ob der mutmaßliche Delinquent ein Kinderschänder, Dieb oder Antisemit ist. Wer zu früh und noch vor dem Richterspruch behauptet, dem drohen harte Strafen, auch wenn er als Kind vom mutmaßlichen Kinderschändern geschändet, als Busreisender vom mutmaßlichen Dieb bestohlen oder als Jude vom Antisemiten öffentlich und medienwirksam beleidigt worden ist. Es sind die Richter, welche bis zum jüngsten Gericht bestimmen, ob der Kinderschänder, der Dieb und der Antisemit Kinderschänder, Diebe oder Antisemiten sind.

Nicht post-, sondern faktisch bleibt ein Kinderschänder ein Kinderschänder, ein Dieb ein Dieb und ein Antisemit ein Antisemit, selbst wenn das Gericht zu einem anderen Ergebnis kommt. Es geht lediglich um die Bekanntgabe. Denn der Richter legt ja nur fest, was passiert, wenn ein echter oder mutmaßlicher Kinderschänder, Dieb oder Antisemit mit oder ohne „mutmaßlich“ tituliert wird, ob man die Wahrheit gefahrlos sagen darf oder sehr hart für eine Verbreitung der Wahrheit bestraft wird.

Mit anderen Worten: Ein Kinderschänder bleibt ein Kinderschänder, ein Dieb bleibt ein Dieb und ein Antisemit bleibt ein Antisemit, unabhängig davon, was der Richter beschließt. Gestank ist Gestank, auch wenn der Bauer unbeabsichtigt in die Jauchegrube fällt.

Wir erkennen diese Logik, wenn wir in der Zeit zurückgehen. Dschinghis Kahn und Iwan der Schreckliche sind Massenmörder (gewesen)! Wer diese Aussage tätigt, braucht kein gerichtliches Verfahren zu befürchten, es sei denn, er lebt in der Mongolei oder in Putins Russland. Wo kein Kläger, da kein Richter! Es soll einen türkischer Potentaten geben, der Richter in Deutschland zu beeinflussen versucht: bisher glücklicherweise wirkungslos.

Bei den Toten entscheidet nicht der Richter, sondern das Geschichtsbuch. Doch wissen wir, dass Geschichte aus Narrativen besteht, die wenig bis nichts mit der Realität gemein haben. Wie denn sonst können Abraham und Jesus bei der Mehrheit der interessierten Weltbevölkerung als Palästinenser durchgehen, obwohl es Palästinenser bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch gar nicht gegeben hat? Das Narrativ besiegt im postfaktischem Zeitalter die Wahrheit. Deshalb ist es auch im demokratischen Deutschland möglich, dass Kinderschänder, Diebe und Antisemiten ungeschoren ihren verwerflichen Taten nachgehen können. Doch diese Narrativ bedingten gesellschaftlichen Verwerfungen haben Konsequenzen. Wer hätte gedacht, dass die Bürger Großbritanniens und der USA die Vorreiter der neuen Bewegung sein würden? Folgen ihnen nun die Italiener, die Griechen, die Niederländer oder die Franzosen? Sicher nicht die Deutschen! Sie hängen an ihren Narrativen wie die Anhänger Mohammeds.

Die einzig richtige Entscheidung, ob ein Kinderschänder ein Kinderschänder, ein Dieb ein Dieb oder ein Antisemit ein Antisemit ist, kann nur ein moralisch gefestigter Wissenschaftler und Philosoph fällen. Solche Menschen sind nicht so selten anzutreffen, wenn man sie nicht im öffentlich-rechtlichen Bezahl-Fernsehen oder in der Regierung sucht. Wenn dieser ehrliche Wissenschaftler darlegen kann, dass der Kinderschänder ein Kinderschänder, der Dieb ein Dieb und der Antisemit ein Antisemit ist, kann der Richter beschließen, was er will. Trotzdem wird es teuer und zuweilen gefährlich, die Wahrheit zu sagen. Nichtsdestotrotz bleibt es die Wahrheit.

Somit schlittern wir in eine Welt herein, die zwei gleichzeitige und sich widersprechende Wahrheiten kennt. Diese Welt beschreibt George Orwell im Jahre 1948, als er den Roman „1984“ verfasst. Die eine Wahrheit ist lebensnotwendig und gegenständlich, die andere ist die staatliche Ideologie, der sich alle Bürger unterzuordnen haben. Dass ein solches Denken mit einer Demokratie auf Dauer nicht kompatibel ist, werden im Laufe der Zeit immer weniger Bürger, die nun Untertanen sind, bemerken. Schon heute nimmt die Zahl der Menschen zu, die eine Regierung bevorzugen, die die strenge Logik der Gesetze verachtet. Neben Putin, der solches verspricht, gewinnt Erdogan, der solches tut, in Deutschland an Anhängern.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass in Deutschland türkische Verhältnisse herrschen, die die Türkei noch nicht erreicht hat. Während die Türken sich nur einem gewalttätigen Diktator zumeist freiwillig beugen, wollen die Deutschen immer dieselbe demokratisch gewählte Herrscherin. In der Türkei wird die Presse gezwungen, staatstragend zu sein. In Deutschland streiten sich die staatstragenden Medien, wer als erstes die neue staatliche Ordnung unterstützen darf. Die Glaubens- und Vorsätze der staatstragenden Rechtsprechenden beider Länder, die auf postfaktische Wahrheiten beruhen, wird man vergeblich in Strafgesetzbüchern suchen. Sie lassen sich schnell bei Wikipedia nachschlagen.

Es hat in Deutschland eine Zeit gegeben, da sind die Menschen stolz darauf gewesen, Antisemiten zu sein. Nach dem verlorenen Krieg bestreiten sie, jemals Antisemiten gewesen zu sein. Heute werden die Bürger überzeugt, dass es keinen Antisemitismus mehr gibt. Der nächst Schritt wird sein, die Juden aus Deutschland abzuschaffen, um den Antisemitismus zu beseitigen. Als nützliche Helfer bieten sich selbsthassende Juden an, die Israel kritisieren müssen, da sie als Juden ohne Israelhass keine Antisemiten sein können. Im Schnellverfahren und im vorauseilendem Gehorsam werden Gesetze und Strafen der neuen postfaktischen Realität angepasst. Echte Gesetzesbrecher werden geschont und das bürgerliche Rückgrat des demokratischen Staates wird erfolgreich gebrochen.

Noch vor wenigen Jahren werden KZ-Wächter freigesprochen, da ihnen nach Jahrzehnten des juristischen Nichtstuns kein persönlicher Judenmord mehr nachgewiesen werden kann. Noch vor wenigen Jahren wird den wenigen überlebenden jüdischen NS-Arbeitssklaven eine noch so geringe Rente verweigert, weil sie keine Rentenbeiträge in die Reichsrentenversicherung einbezahlt haben. Doch diese Zeiten sind endgültig vorbei! Und nicht alleine deshalb, weil alle KZ-Wächter und jüdische Arbeitssklaven eines mehr oder weniger natürlichen Todes gestorben sind. Diese Zeiten sind vorbei, weil deutsche Richter mit Wikipedia*-Kenntnissen der Jüdischen Geschichte, der Jüdischen Kultur und des Judentums festlegen, was und wer ein Antisemit ist.

*S. 14 des Urteils Melzer ./. Knobloch vom 21.11.2016 des Landgerichts München I, AZ: 25 O 17754/16

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