Der in Damaskus geborene Islamkenner Prof. Bassam Tibi aus Göttingen kommt als 18-Jähriger nach Frankfurt. Der heute 72-Jährige befürchtet große Konflikte wegen der vielen syrischen Flüchtlinge, die arm sind und falsche Vorstellungen haben.
Auszüge aus einem mit Interview Bassam Tibi am 04.07.16 in der „Welt“:
"Mein Vater wollte, dass ich nach Deutschland gehe. Ich bin letztlich darüber glücklich, ansonsten hätte ich Adorno und Horkheimer nicht kennengelernt. Und Mitscherlich, Fetscher, Bloch: Deutsche dieses Kalibers gibt es heute nicht mehr. Das waren Weltgelehrte. Ich liebe Bloch, denn er war jüdisch.
Ich bin als Judenhasser gekommen. So hat man mich in Damaskus erzogen. Für mich war Auschwitz kein Verbrechen. Die beiden jüdischen Lehrer haben mir den Kopf gewaschen. Ich habe meine akademische Karriere als erster Muslim am Washingtoner Holocaustmuseum beendet. Ich verstehe, was Auschwitz ist. Und ich weiß auch: Die Syrer von heute sind Antisemiten. Zuletzt war ich 1965 in Syrien. Ein Bruder lebt als Flüchtling in Schweden. Teile meiner Familie leben in Frankreich und den USA. In Damaskus haben die Assad-Leute unsere Familie vernichtet.
Ich habe in den letzten eineinhalb Jahren mit mehreren Tausend Syrern in ganz Deutschland gesprochen. Die meisten von ihnen sind vom Land. Und unter ihnen gibt es viele Antisemiten. Unter all den Leuten, die ich sprach, war kein einziger Arzt und auch kein Ingenieur.
In Damaskus gibt es Überbevölkerung. Aus der 700.000-Metropole meiner Kindheit sind 3,5 Millionen Menschen geworden. Es gibt Straßengangs, viele Schulabbrecher. Letztens sprach ich eine Frau auf dem Markt von Göttingen an und fragte sie auf Syrisch, ob sie politischer Flüchtling wäre. Sie kannte das Wort überhaupt nicht. Für die Flucht hat sie viel Geld bezahlt. Man spricht von "ethnischer Armut". Die Konflikte sind vorprogrammiert. Für Euphorie seitens der Deutschen gibt es nun wirklich keinen Grund.
Sie glauben also, dass die Flüchtlinge nur hierher wollen, weil sie in Deutschland gut alimentiert werden?
Ich kenne eine somalische Familie, die schon im amerikanischen Ohio gelebt hat. Der Vater beklagt sich, dass man in Amerika arbeiten müsse und wenig verdiene. Er hat es geschafft, aus Amerika nach Deutschland zu kommen und zu suggerieren, er wäre gerade aus Somalia geflohen. Amerika hat ihm nicht gefallen. Also hat er gelogen. Nun hat er eine Wohnung und die vier Kinder bringen ihm insgesamt so viel Geld ein, wie ich als pensionierter Professor beziehe. Er ist schon drei Jahre hier und spricht kein Wort Deutsch. Das wird und will er nicht lernen.
Als ich das Bundesverdienstkreuz von Roman Herzog verliehen bekam, erklärte ich ihn scherzhaft zu meinem politischen Imam. "Ich füge mich Ihnen", sagte ich ihm und damit bräche ich muslimisches Gesetz, denn man dürfe nur seinem Imam folgen. Ein Muslim darf zwar vorübergehend in einer nichtislamischen Gesellschaft leben. Aber er darf sich nicht fügen. So sind wir Syrer erzogen.
Es muss einen Reformislam geben, so etwas wie eine Reformation. Es gibt Ansätze, Sufi-Muslime etwa, wo man kritische Textexegese betreibt und den Glaubensakt als etwas Persönliches zwischen sich und Allah betrachtet. Die werden in den muslimischen Ländern unterdrückt. Und auch hier in Europa, wo die Muslime sich frei fühlen können wie sonst nirgendwo, redet man nicht gerade fröhlich über Reformen. Ich kapituliere und befürchte, dass wir auf dem Weg zu noch größeren Parallelgesellschaften sind.
Ich will Zugehörigkeit. Ich will dazugehören. Das, was die Amerikaner "Sense of Belonging" nennen. Fußballer Thomas Müller sagte kürzlich, deutscher als Özil und Boateng könne man nicht sein. Ich war Berater der US-amerikanischen Armee vor dem Irakkrieg und wohnte auf einem Campus in der Nähe von Washington. Dort erlebte ich geborene Sudanesen, Perser. Sie sangen am Morgen hochemotional die Hymne und sagten: "Ich würde für Amerika sterben." Können Sie sich einen Türken vorstellen, der so etwas unter der deutschen Flagge sagt? Ich würde mich gerne als Deutscher begreifen, aber nicht im Sinne des Blutes. Ich bin Staatsbürger, ich bin Grundgesetzbürger. Deutsche Identität ist natürlich nicht nur Nazi-Identität, wie heute noch viele Linke verkünden. Deutsche Identität auf Hitler zu reduzieren, ist Gewalt gegen die Deutschen. Aber es ist hier schwieriger. Cameron kann von "Britishness" sprechen. "Die Einwanderer müssen unsere Britishness akzeptieren und respektieren." Ich möchte gerne in einem normalen Land leben. Deutschland ist aber immer noch nicht normal.
Ich lehrte jüngst an der American University of Cairo. Es gibt dort keine Demokratie. Es wird nicht diskutiert. Der Polizist sagt, wo es langgeht. Wenn diese Menschen hierherkommen und erleben konziliante, freundliche Polizisten, meinen sie, das sei kein Polizist, sondern eine Witzfigur. Sie fühlen sich nicht frei, sondern verloren.
Bei Adorno und Horkheimer habe ich, und das klingt fast schon rassistisch, das logische analytische Denken gelernt. Und ich habe unter Deutschen gelebt, nicht in einer syrischen Parallelgesellschaft. Ich lernte deutsche Sitten und Gebräuche unter anständigen deutschen Linken beim SDS. Das war für mich meine Heimat. Die zehn Jahre in Frankfurt fühlte ich mich wie ein Deutscher, obwohl ich noch nicht einmal eingebürgert war. Ich hatte Frau und Kind. Ich habe aber auch das andere erlebt: Arabische Freunde kamen an die Uni und sagten empört, meine Freundin säße da mit anderen Männern zusammen. Ich antwortete, das seien ihre Kommilitonen und es sei schließlich eine Mensa. Sie fragten, ob ich keine Ehre hätte. Das war schon damals nicht meine Welt! Eine Frau war bei denen entweder eine Mutter oder nur ein Sexualobjekt. Alles ist übersexualisiert. Meine Freunde sagten dann abfällig, ich benähme mich "deutsch". Ich glaube, so ist das heute noch bei vielen Muslimen.
Man landet nicht richtig in Europa. Ich kenne die libanesische Parallelgesellschaft in Berlin gut. Da gibt es viele Kriminelle. Die türkischen sind zwar besser, die Menschen leben aber auch oft so, als seien sie noch in der Türkei. Und wenn Sie jetzt sehen, welchen Einfluss Erdogan über die türkischen Verbände auf die türkischstämmigen Deutschen auszuüben versucht, dann hören Sie die Nachtigall trapsen.
Vielleicht fünf bis zehn Prozent der Muslime in Deutschland leben wie ich, europäisch. Sie sind integriert, zahlen ihre Steuern, schicken ihre Kinder in die Schulen und wollen nicht auffallen. Voraussetzung ist eine ökonomisch gesicherte Basis und die Sprache. Das sind oft Mittelständler. Aber selbst das schützt nicht. Sogar syrische und iranische Ärzte in Göttingen leben unter sich, und wenn Deutsche dazukommen, fühlen sich die Deutschen fremd.
Es gibt ein Buch, das ist für mich die Bibel der Demokratie: John Stuart Mills "On Liberty". Das war Pflichtlektüre für die Nachkriegsdeutschen. Ich studierte bei Carlo Schmid, dem Mitverfasser des Grundgesetzes. Die DDR-Menschen sind nicht in diesem westlichen Geiste erzogen worden. Und mit Merkels Entscheidung, eineinhalb Million Menschen ins Land zu lassen, verändert sich Deutschland immens. Das sehen Sie schon an Göttingen: Die Stadt war früher sehr studentisch, 20% waren Ausländer, eine verträumte, idyllische Stadt. Heute sieht sie aus wie ein Flüchtlingslager. Da laufen die Gangs, ob afghanisch oder eritreisch, durch die Straßen, und man bekommt es mit der Angst. Das Göttinger Gemeinwesen ist erschüttert. Und über all das: keine Sitzung oder Debatte des Bundestages! Alles der Alleingang einer Frau.
Wenn man etwas Kritisches sagt, kommt gleich die AfD-Keule! Wir brauchen hier endlich eine Debattenkultur, die diesen Namen auch verdient. Das ist Demokratie. Wir müssen nicht übereinstimmen. Aber wenn ich widerspreche, darf man sich nicht gleich hämisch über mich äußern.
Ich finde die Lage unerträglich. Da kommen Menschen mit keiner Ausbildung und wenig Geld. Und sie erleben eine prosperierende Gesellschaft. All das ist hart erarbeitet. Das kann man nicht einfach verschenken. Mit der Zeit werden aus diesen Gruppen Gangs, die sich das dann holen. Göttingen wird in einem Jahr eine Stadt voller Kriminalität sein. Und das verdanken wir Frau Merkel. Das ist keine Einwanderung wie im Falle Amerikas, wo man sich die qualifizierten Immigranten aussucht. Das hier ist eine demografische Lawine, die über uns schwappt. Der Begriff wurde von Wolfgang Schäuble benutzt, und er hat sich auch nicht dafür entschuldigt. Mehrere Millionen warten darauf, zu kommen. Ich war zehn Jahre nicht in Ägypten, und heute gibt es 15 Millionen Menschen mehr seither. Alle wollen herkommen, einschließlich der Universitätsprofessoren. Es gibt keine einzige Demokratie in Schwarzafrika. Die Armut wächst. Über Libyen werden Millionen kommen und die Probleme der Armut werden sich dennoch nicht lösen."