Einmal im Jahr findet in Deutschland eine ganze Woche Brüderlichkeit statt. Diese eine Woche, in der sich Brüder, die sich gewöhnlich aus dem Weg gehen, nicht notwendigerweise zu lieben brauchen, ist untrennbar mit einem Preis verbunden. Der Preis besteht aus einer schönen, glanzlosen und großen Kupfer-Medaille, auf deren Vorderseite die Herren Buber und Rosenzweig abgebildet sind, weshalb das teure Stück Buber-Rosenzweig-Medaille genannt wird. 2016 wird die gediegene Medaille in Hannover Herrn Prof. Dr. Micha Brumlik verliehen.

Ähnlich dem Nürnberger Weihnachtsmarkt oder dem Aachener Karneval, welche regelmäßig jedes Jahr über den Fernsehschirm flimmern, ist die Eröffnungsfeier der Woche der Brüderlichkeit ein deutsches Muss, welches über eine ¾ Stunde, gerade noch beginnend am Eröffnungstag um 23:55 Uhr, die wenigen Interessierten erreicht, die nicht persönlich an der prunkvollen Veranstaltung teilgenommen haben. Meist wegen Gebrechen auf Grund fortgeschrittenen Alters. Die Woche der Brüderlichkeit wird von der Gesellschaft für Christlich-Jüdischer Zusammenarbeit GCJZ organisiert und eröffnet. Diese Gesellschaft ist auf Druck der amerikanischen Militärregierung gegründet worden, die die deutschen Nichtjuden - damals Christen – zwingen will, sich mit den den Nationalsozialimus überlebenden Juden zusammenzusetzen, damit die Juden nicht erneut durch Deutsche im industriellen Maßstab ermordet werden. Die Siegermächte können sich nicht vorstellen, dass nach dem Holocaust wegen der geringen verbliebenen Zahl von Juden in Deutschland eine derartige Vernichtung nicht mehr möglich sein wird.

Mit der Zeit verschwindet das Judentum hinter der Woche der Brüderlichkeit. Heute ist Brüderlichkeit gegenüber muslimischen Flüchtlingen angesagt, bei denen Juden eine geringere soziale Stellung haben als muslimische Frauen. Lediglich die Buber-Rosenzweig-Medaille erinnert an die Anfangszeit der GCJZ. Der Preis wird an Personen verliehen, die sich um die Verständigung zwischen Christen und Juden verdient gemacht haben. Davon gibt es in Deutschland nicht viele. Der einzige Jude oder Deutsche, der mit einfällt, ist HM Broder, bei dem der Ausdruck „um die Verständigung verdient gemacht“ nicht voll zutrifft.

Wie in Preußen Tradition beginnt die Veranstaltung pünktlich mit dem Erscheinen von Joachim Gauck. Aus einem tief verankerten royalistischen Impuls heraus stehen alle Anwesenden auf und klatschen frenetisch. Vor allem die wenigen Juden, erkennbar an Käppchen und Hüten, und die Fotographen haben ihre Sitzplätze noch nicht gefunden. Das moderne Theater am Aegi mit hervorragender Akustik ist mit weit über 1.000 Zuhörern bis zum Rand gefüllt. Bedenkt man, dass Hannover im Blickfeld von Islamisten liegt (abgesetztes Fußballspiel, Messerattacke à la Intifada gegen einen Polizisten im Hauptbahnhof) und neben Bundespräsidenten, Niedersächsischem Ministerpräsidenten und dem Hannoveraner OB auch einige Bischöfe und Rabbiner im Theater versammelt sind, sind die Sicherheitsvorkehrungen äußerst lässig. Auch eine größere Anzahl Jugendlicher aus Israel sitzt im Theater. Für israelische Gruppen gilt in Hannover ein striktes öffentliches Auftrittverbot, nachdem vor einigen Jahren Muslime mit Migrationshintergrund eine jüdische Gruppe zu steinigen versucht hat.

Noch ist die Hoffnung nicht verloren, dass in Deutschlands Großstädten bald orientalische Verhältnisse herrschen werden.

Das Jugendjazzorchester Niedersachsen „Wind Machine“ spielt auf. Frau Gundula Gause moderiert. Sie ist evangelisch und katholisch verheiratet, also bestens für die Brüderlichkeit zwischen Juden und Christen geeignet. Das Motto der brüderlichen Veranstaltung lautet „Um Gottes Willen“, was nach Gundulas Meinung eine Instrumentalisierung der Religionen nicht ausschließen lässt. Dann läuft ein hinreichend kurzer Propagandafilm über die Geschichte der GCJZ ab, in dem auch eine NPD-Kundgebung vorkommt.

Als nächstes ersteigt und der Jüdische Präsident der Gesellschaft und der nicht orthodoxe Rabbiner Brandt die Bühne. Nach über 30 Jahren als Jüdischer Präsident der Gesellschaft verkündet er der reaktionsfreien oder desinteressierten Zuhörerschaft, dass er bald abdanken wird oder will (?). Von einem offiziellen Juden in Deutschland hätte eine derartige Ankündigung einen Sturm ausgelöst, kleben doch offizielle Juden bis zur letzten Minute an ihren Ämtern, was in Aachen sogar auf die Deutsch-Israelische Gesellschaft zutrifft. Obwohl Rabbiner Brandt sehr hinfällig wirkt, nimmt ihm keiner der greisen Zuhörer die Abdankungsankündigung ab.

Das Jugendjazzorchester umrahmt ein junge Sängerin, die über eine außergewöhnliche Jazzstimme verfügt.

Der Schirmherr Joachim Gauck geht zum Mikrophon. Er betrachtet Islamisten als selbsternannte Gotteskrieger, die die Werte des Abendlandes bekämpfen. Zu unseren deutschen Werten gehört die Religionsfreiheit, deren Beachtung eine Pflicht für alle in Deutschland lebenden Menschen ist. Brüderlichkeit und Nächstenliebe kann der Staat glücklicherweise nicht verordnen.

Die Orchestermusik wird von einem Klavier bestimmt.

Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil betritt die Bühne. Er erzählt, dass es nach 1945 kaum Juden in Niedersachsen gegeben hat. Dann vermengt er Antisemitismus mit Fremdenfeindlichkeit. Der Ministerpräsident ist davon überzeugt, dass jeder Mensch seine Würde besitzt, selbst wenn er Jude ist.

Der Oberbürgermeister Hannovers und der Regionspräsident der Region Hannover betreten gemeinsam die Bühne. Es gibt in Hannover eine Deutsch-Israelische Gesellschaft und 40.000 Muslime. In Hannover steht ein Haus der sechs Religionen, welches neben den drei Monotheisten von Hindus, Buddhisten und Bahais, die eigentlich auch Monotheisten sind, bevölkert wird. Die Region Hannover pflegt eine Partnerschaft mit der Unteren Region Galiläas.

Die junge Sängerin singt erneut in Begleitung des Jugendjazzorchesters.

Ein Film über das bisherige Leben des Micha Brumlik wird eingeschoben. Judentum hat in Deutschland Zukunft, hört man ihn sprechen. A. Merkel verdient Respekt wegen ihrer Flüchtlingspolitik. Ein Jude kann Deutscher sein.

Dann ergreift endlich die Botschafterin des Rates der EKD für das Reformationsjubiläum das Mikrophon und das Wort. Frau Käßmann hält die Laudatio!

Sie macht keinen Hehl daraus, dass es zwischen ihr und Micha unüberwindbare Gegensätze gibt. Er ist Jude, sie Lutheranerin. Er ist dagegen, dass Juden am Lutherjubiläum teilnehmen, sie wünscht sich eine jüdische Teilnahme, auch wenn M. Luther Antijudaist und möglicherweise Antisemit gewesen ist, was die evangelische Kirche immerhin heute schon zugibt, ohne sich daran zu stören. Die größte Differenz, die Frau Käßmann gekonnt zu umschiffen versucht, ist die Einstellung gegenüber Israel. Er befürwortet, dass Deutschland an den Judenstaat Waffen liefert, damit sich Israel gegen seine Auslöschung wehren kann. Sie ist Pazifistin. Er sieht die Religion als etwas privates an, sie will den Öffentliche Raum mit Religion durchdringen.

Dann wird sie friedlich. Brumlik sei der größte lebende jüdische Philosoph Deutschlands, womit sie leider Recht hat. Und: Antisemitismus gäbe es noch heute in Deutschland.

Anschließend erhält der Vielgelobte endlich den hart verdienten Preis aus den Händen der beiden christlichen Vorsitzenden der GCJZ. Er bedankt sich erfreut und erfreulich kurz. In einer kurzen Ansprache kann der größte lebende jüdische Philosoph Deutschlands nicht das Ende der EU erkennen, schon gar nicht wegen der Flüchtlingskrise. Er halte die AfD für rechtsextrem. Religion hat die Aufgabe, Werte in die Gesellschaft zu transportieren. Die Religionen können in Deutschland mehr als im laizistischen Frankreich bewirken.

Zum Ende erfolgt ein Musikstück, das nach einer stehenden Ovation verlangt. Allein das Jugendjazzorchester Niedersachsen „Wind Machine“ mit seiner Sängerin hat die weite fahrt nach Hannover gelohnt.

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Marian Eisler

Marian Eisler bewertete diesen Eintrag 07.03.2016 18:32:14

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