Tilman Nagel ist emeritierter Professor für Arabistik und Islamwissenschaften der Universität Göttingen. Er ist Verfasser bedeutender Standardwerke der Islamwissenschaft. Sein letztes Buch mit dem Titel „Was ist der Islam?: Grundzüge einer Weltreligion“ ist im März 2018 erschienen. Das Buch ist ein Muss für jeden, der den Islam verstehen will.
Salafismus ist der reformierte Islam. Er ist kein politischer Islam als Antwort auf westliche Herausforderungen. Schon die Flagge des Islamischen Staates verdeutlicht es: Oben steht „Es gibt keinen Gott außer Allah!“ und deutlich abgetrennt darunter „Mohammed ist der Gesandte Allahs!“. Dies ist die Grundidee des Islams, nach der die „Altvorderen“ (salaf) zu Beginn des Islams leben. Der Salafismus ist der Weg zurück zu den Wurzeln. Ähnlich den Salafisten beginnen die Grünen ihren Aufstieg, der wie der der Salafisten, noch nicht den Höhepunkt erreicht hat.
Die Bezeugung, dass es nur einen Gott gibt (tauhid) ist die größte Tat, die ein Mensch, sei er Muslim oder nicht, vollbringen kann. Jeder, der dies bezeugt, betritt irgendwann das Paradies. Wer gottgleiche Kräfte auf mehrere Götter oder Menschen und Tieren verteilt (Beigesellung, schirk) begeht die schwerst mögliche Verfehlung, die durch nichts aufgewogen werden kann und die ewige Höllenqualen bedeutet. Die Eingottbezeugung ist das höchste Maß, nach dem der Mensch beurteilt wird: Der anständige Polytheist ist weniger wert als der sündige Bekenner des Eingottglaubens. Alle anderen Gebote des Islam sind zweitrangig, gar wertlos, wenn die Eingottbezeugung fehlt. Wer das Wissen um den tauhid besitzt, weiß, dass Parlamentarismus, Demokratie, freie demokratische Wahlen, Nationalismus, Humanismus, Kapitalismus und Kommunismus verrucht polytheistisch sind. Auch darf der Salafist keine nicht-salafistischen Gerichtsbarkeit anerkennen. Wenn er dies trotzdem tut, verspielt er den Einzug ins Paradies und erleidet nach seinem Tod ewige unangenehme Höllenqualen. Der Salafist muss sich einer islamischen Vormacht unterordnen! Das Gegenteil von „tauhid“ ist „tagut“, was mit Götzendienst oder Christentum übersetzt wird.
Dem Salafisten ist es erlaubt, bei (nicht für) einem Ungläubigen zu arbeiten, es ist jedoch nicht wünschenswert. Ein Urteil eines Ungläubigen über die Scharia ist unzulässig. Philosophen sind tagut, weil sie vorgeben, mit eigener Kraft die Wahrheit zu finden.
Alles, was im Universum geschieht, geschieht nach dem Willen Allahs. Der Mensch ist verantwortlich: für seine schlechten Taten wird er bestraft, für seine guten belohnt. Hier tut sich für dem abendländisch tagut Sozialisierten ein Widerspruch auf, da Allah ein ständig schöpfender Gott ist, der alles immerzu bestimmt. Allah sollte somit für die Taten der Menschen verantwortlich sein! Das wird mit folgenden Worten beantwortet: Der Verstand, der Allah dem Menschen gibt, kann diese beiden Prinzipien, Vorbestimmung und Verantwortung, nicht begreifen. Es ist ein göttliches Geheimnis. Darüber zu streiten, auf Einzelheiten einzugehen, Widersprüche zu suchen, ist Ursache des Verderbens und Eintretens in den Unglauben.
Der Salafismus steht in keinem Gegensatz zum anerkannten Islam. Der offiziell anerkannte Islam in der EU benötigt den Salafismus, um sich von ihm als demokratisches Konstrukt abzusetzen. Der konservativ und gesetzestreu sich gebende, gleichzeitig unbedeutende Zentral der Muslime erlässt im Februar 2002 eine Islamische Charta, die einstimmig beschlossen auf zentralrat.de/3035.php nachlesbar ist.
Man erfährt unter Punkt 5, dass Muslime glauben, dass der Mensch, soweit er freien Willen besitzt, für sein Verhalten allein verantwortlich ist und dafür am Jüngsten Tag Rechenschaft ablegen muss. Dass eigentlich Allah an den Missetaten der Menschen verantwortlich ist, wird wohlweislich unterschlagen, um Verderben und Eintreten in den Unglauben zu verhindern.
Sehr salafistisch geht es unter Punkt 10: „Muslime dürfen sich in jedem beliebigen Land aufhalten, solange sie ihren religiösen Hauptpflichten nachkommen können. Das islamische Recht verpflichtet Muslime in der Diaspora, sich grundsätzlich an die lokale Rechtsordnung zu halten. In diesem Sinne gelten Visumserteilung, Aufenthaltsgenehmigung und Einbürgerung als Verträge, die von der muslimischen Minderheit einzuhalten sind.“ Muslime dürfen sich in jedem beliebigen Land aufhalten, Ungläubige nicht. Muslime in der Diaspora, sich grundsätzlich verpflichtet, sich an die lokale Rechtsordnung zu halten, solange sie ihren religiösen Hauptpflichten nachkommen können. Die religiöse Hauptpflicht ist der tauhid: Parlamentarismus, Demokratie, freie demokratische Wahlen, Nationalismus, Humanismus, Kapitalismus und Kommunismus müssen abgeschafft werden! Die Eingottbezeugung wird verschämt unter Punkt 7 versteckt: Die fünf Säulen des Islam.
Punkt 8: Der Islam ist Glaube, Ethik, soziale Ordnung und Lebensweise zugleich. Der Islam ist angewandte Religion und somit Politik. Der Islam ist Salafismus. „Wo auch immer, sind Muslime dazu aufgerufen, mit Glaubensgenossen in aller Welt solidarisch zu sein.“ Wir haben gelernt, dass die Abschaffung des tagut, der abendländischen Ethik, dazu gehört.
Punkt 11: Muslime bejahen das Grundgesetz. Daher akzeptieren Muslime das Recht, die Religion zu wechseln, eine andere oder gar keine Religion zu haben. Der Koran untersagt jede Gewaltausübung und jeden Zwang in Angelegenheiten des Glaubens. Dies ist eine leicht überprüfbare Lüge. Die berüchtigte Sure 2, Vers 256 – 257 lauten hingegen ganz klar:
Es gibt keinen Zwang im Glauben. Der Weg der Besonnenheit ist klar unterschieden von dem der Verirrung. Wer falsche Götter verleugnet, jedoch an Allah glaubt, der hält sich an der festesten Handhabe. Allah ist der Schutzherr derjenigen, die glauben. Diejenigen aber, die ungläubig sind, deren Schutzherren sind die falschen Götter. Sie bringen sie aus dem Licht hinaus in die Finsternisse. Das sind Insassen des Höllenfeuers. Ewig werden sie darin bleiben.
Der Zwang im Glauben betrifft nur die ungläubigen Nichtmuslime. Die Rechtgläubigen bedürfen keines Zwanges.
12: „Wir zielen nicht auf Herstellung eines klerikalen Gottesstaates ab. Vielmehr begrüßen wir das System der Bundesrepublik Deutschland, in dem Staat und Religion harmonisch aufeinander bezogen sind.“ Wir möchten die islamische Harmonie, die in Saudi-Arabien und in der Türkei vorherrscht, nicht erleben.
13: Es besteht kein Widerspruch zwischen der islamischen Lehre und dem Kernbestand der Menschenrechte.
Interessant.
14: Die europäische Kultur ist vom klassisch griechisch-römischen sowie jüdisch-christlich-islamischen Erbe und der Aufklärung geprägt. Sie ist ganz wesentlich von der islamischen Philosophie und Zivilisation beeinflusst. Auch im heutigen Übergang von der Moderne zur Postmoderne wollen Muslime einen entscheidenden Beitrag zur Bewältigung von Krisen leisten. Dazu zählen u.a. die Bejahung des vom Koran anerkannten religiösen Pluralismus, die Ablehnung jeder Form von Rassismus und Chauvinismus sowie die gesunde Lebensweise einer Gemeinschaft, die jede Art von Süchtigkeit ablehnt.
Hier darf sich der Leser seine eigenen Gedanken über den religiösen Pluralismus in Saudi-Arabien und anderswo in islamischen Staaten, einschließlich des IS machen.
15: Die islamische Lehre ist aufklärerisch und bleibt von ernsthaften Konflikten zwischen Religion und Naturwissenschaft verschont.
Fetullah Gülen, SZ vom 16.08.2016 (früherer Weggefährte des demokratischen türkischen Sultans):
Koran und Hadith (Überlieferungen des Propheten Mohammed) sind wahr und absolut. Wissenschaft und wissenschaftliche Fakten sind wahr, solange sie mit Koran und Hadith übereinstimmen. Sobald sie eine andere Position einnehmen oder von der Wahrheit von Koran und Hadith wegführen, sind sie fehlerhaft.
20: Erlaubnis des lautsprechverstärkten Gebetsrufs, Respektierung islamischer Bekleidungsvorschriften in Schulen und Behörden.
= heute als Spaltung der Gesellschaft bekannt.
Tilman Nagel
Was ist der Islam?: Grundzüge einer Weltreligion.
Duncker & Humblot
ISBN-10: 342815228X
ISBN-13: 978-3428152285
695 Seiten
EUR 39,90