Die Brutalität, mit der die Kämpfer des selbsternannten „Islamischen Staat“ Frauen versklaven und systematisch vergewaltigen, sorgt für Abscheu. Gerade jetzt ist wieder eine Regelliste aufgetaucht, die detailliert erklärt, wer wann und auf welche Weise Frauen vergewaltigen darf.
Es ist gut, dass sich inzwischen über eine solche sexistische Männerbrutalität empört wird. Allerdings wäre es falsch zu glauben, dass Massenvergewaltigungen etwas Spezielles des Islamistischen Terrors wäre. Ob im Zweiten Weltkrieg, in Bosnien, Albanien oder Kosovo oder im Kongo – kriegerische Gewalt hat schon immer und überall eine sexuelle Seite gehabt. Vergewaltigungen gehören zu Kriegen systematisch mit dazu, und bis vor kurzem hat das alles auch hier im Westen keine Socke interessiert.
Erst seit den 1990er Jahren gelingt es Feministinnen nach und nach, dem Thema in den Vereinten Nationen Gehör zu verschaffen. Und erst im Jahr 2015 erkennt Japan, seit Jahrzehnten ein treuer Verbündeter der „westlichen zivilisierten Welt“, an, dass die systematischen Vergewaltigungen an koreanischen Frauen in Militärbordellen im Zweiten Weltkrieg ein Verbrechen waren.
Es ist also keineswegs so, dass die Brutalität der Islamistischen Krieger gegenüber Frauen etwas völlig außerhalb unserer Vorstellungskraft Liegendes wäre. Die Ideologen der Islamisten wollen keineswegs zurück ins finstere Mittelalter, wie oft gesagt wird, sondern eher zurück in die 1980er Jahre – also in eine Zeit, in der sexualisierte Gewalt gegen Frauen noch nirgendwo auf dem Radar war und Vergewaltigungen (vor allem solche von Frauen, die es „verdienten“ oder zu einer als „minderwertig“ definieren Gruppe gehörten) auch im "Westen" nicht als Verbrechen galten, sondern als ganz natürlich und normal.
Dieser zivilisatorische Bewusstseinswandel des Westens kam auch keineswegs von selber, aus einer inneren Logik der „westlichen Werte“ heraus, sondern er musste in mühsamer Kleinarbeit und Überzeugungsarbeit von Feministinnen gegen viele Widerstände erkämpft werden. Doch leider ist die Bedeutung ihrer Arbeit ganz und gar nicht anerkannt, auch nicht in Europa. Die Gleichstellungsstrategie der Europäischen Union zum Beispiel läuft Ende 2015 aus – und eine neue ist nicht in Sicht. „Sowas brauchen wir doch nicht, wir sind ja schon emanzipiert“, scheinen viele im Westen zu denken.
Aber angesichts des erstarkenden Rechtspopulismus in vielen europäischen Ländern kann einer Frau schon Angst und Bange werden. Sie alle haben ein sehr konservatives Frauenbild, wollen zu einer althergebrachten Geschlechterrollenverteilung zurück, was letztlich bedeutet, dass Frauen den Männern untergeordnet werden. Gendermainstreaming halten sie für einen Ausfluss der Hölle, und feministische Anträge in internationalen Gremien einen Graus.
Nein, der Westen ist leider kein verlässliches Bollwerk gegen sexistische Terrorkrieger – was man ja auch schon daran gut sieht, dass er auch mit so krass patriarchalen Ländern wie Saudi Arabien ziemlich gut klar kommt. Der Westen schreibt sich die Sache der Frauen zwar gerne auf die Fahnen, um seine angebliche Überlegenheit gegen die „unzivilisierten Anderen“ zu demonstrieren. Aber eine wirkliche Herzensangelegenheit ist ihm die Freiheit der Frauen nicht.
Deshalb brauchen wir auch weiterhin eine starke Frauenbewegung gerade in Europa. Und zwar eine, die sich nicht scheut, zuallererst einmal der eigenen Kultur an die Nase zu fassen. Bloß den Sexismus in anderen Teilen der Welt anzuprangern ist nicht genug, und außerdem meistens scheinheilig.
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