Viele fühlen sich gestresst dadurch, dass sich starre Grenzen zwischen „Arbeitszeit“ und „Freizeit“ auflösen, dass man über Smartphones und E-Mails jederzeit erreichbar ist. Adé, du schöner, sortierter Arbeitstag von Neun bis Fünf.
Ich sehe das ja anders. Ich genieße es, dass ich jederzeit und überall arbeiten kann. Zum Beispiel bin ich viel mit dem Zug unterwegs, und da kommt es schon mal vor, dass der Anschluss verpasst wurde und man eine Stunde warten muss. Früher war das vertane Zeit, heute setze ich mich einfach ins Café, klappe mein Notebook auf, und arbeite. Es kann auch vorkommen, dass ich aus unerfindlichen Gründen frühmorgens schon wach bin und vor dem Frühstück schon mal zwei Stunden Pensum hinter mich bringe.
Dafür gehe ich aber auch schon mal am frühen Nachmittag spazieren, wenn die Sonne scheint – gerade im Winter, wenn es normalerweise ja nach Büroschluss draußen schon dunkel ist. Oder ich erledige den Wocheneinkauf am Vormittag, weil da die Läden schön leer sind. Und, tatsächlich: Dann kann es passieren, dass ich mitten am Tag vier Stunden lang meine Mails nicht lese.
Denn: Immer und überall arbeiten zu können bedeutet ja nicht automatisch, dass man auch immer und überall arbeiten muss! Flexibilität funktioniert ja in beide Richtungen.
Sicher ist meine Arbeitssituation ein wenig besonders, weil ich als Journalistin hauptsächlich projektbezogen arbeite, also Dinge tue, die relativ zeit- und ortsunabhängig sind und keine anderen Arbeitsmittel benötigen als eben einen Computer mit Internetzugang. Aber der Anteil dieser Tätigkeiten am Gesamtarbeitsvolumen steigt ja. Und würden die technischen Möglichkeiten des mobilen Internets konsequent angewandt, könnte er wahrscheinlich noch viel größer sein, als er derzeit ist.
Statt sich lamentierend ins Schicksal der zwangsflexibilisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu fügen und viel Energie darauf zu verschwenden, das Unvermeidliche vielleicht noch ein wenig hinauszuschieben, sollten wir unsere Energie lieber dafür einsetzen, das post-industrielle Arbeitszeitalter bewusst zu gestalten. So, dass alle etwas davon haben.
Das erfordert natürlich, sich neue Strukturen zu überlegen, und es sind vermutlich auch Konflikte am Arbeitsplatz oder im Team auszutragen, weil ja ganz neue Regeln und Modalitäten ausgehandelt werden müssen. Und zwar solche, die sich an der jeweils spezifischen Tätigkeit orientieren, denn das eine starre Modell, das für die ganze Firma gilt, kann es dann nicht mehr geben. Aber diese Anstrengung ist es wert!
Flexibilität ist nämlich etwas Gutes, vorausgesetzt, sie kommt nicht nur den Chefs und den Unternehmen zugute, sondern auch den Beschäftigen. Wenn also nicht nur die Beschäftigten dem Unternehmen flexibel zur Verfügung stehen, wenn die Umstände das erforderlich machen, sondern wenn andersrum auch das Unternehmen seinen Beschäftigten die Freiheit einräumt, auch einfach mal nicht zur Verfügung zu stehen, wenn die Umstände es zulassen.
Und vielleicht wäre das ja auch etwas, wofür sich Gewerkschaften und Betriebsräte stark machen könnten!