Ich bin nicht schön!

Angesichts der vielen Schönheitsnormen, die von Seiten der Werbe- und Kosmetikindustrie vor allem dem weiblichen Teil der Bevölkerung aufgedrückt werden, gibt es einen Gegentrend. Nämlich zu behaupten: Alle Menschen sind schön! Du bist schön! Es kommt nur auf die Betrachtungsweise an!

Mich beruhigt das, ehrlich gesagt, nicht. Und ich finde auch nicht, dass es eine geeignete Gegenstrategie gegen den Schönheitswahn ist. Denn wenn alle schön sind, hat das Wort ja keine Bedeutung mehr. Alles und jede „schön“ zu nennen ist gleichbedeutend mit der Abschaffung des Konzeptes Schönheit.

Denn wären alle Menschen schön, würde es sich erübrigen, eine Person so zu nennen. Wir sagen ja auch nicht morgens zu unserer Arbeitskollegin: „Liebe Frau Meier, Sie haben eine Nase!“ – Ja, natürlich hat sie eine Nase, so wie wir alle. Zu jemandem zu sagen: „Du bist schön“ bedeutet hingegen, eine Unterscheidung zu treffen. Das Schöne zu benennen im Unterschied – nicht zum Hässlichen, sondern zum Nicht-Schönen.

Es gibt schöne Sachen in der Welt, und es gibt Sachen, die nicht schön sind. Und es ist sinnvoll, zwischen beidem zu unterscheiden. Ein dichter, grüner Mischwald ist schön. Eine lieblos in die Landschaft geklatschte Lagerhalle ist nicht schön. Es gibt schöne und nicht-schöne, sogar hässliche Bahnhöfe. Mein Billig-Kleiderschrank im Schlafzimmer ist zwar funktional und sieht auch ganz okay aus, aber er ist nicht schön. Der alte, handgearbeitete Intarsienschrank meiner Nachbarin hingegen – der ist sowas von schön!

Viele sagen, Schönheit liege im Auge des Betrachters. Andere weisen darauf hin, dass es immer auch kulturelle Gewohnheit sei, was die Leute schön finden. Stimmt alles, ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Schönheit, die ganz allein im Auge des Betrachters liegt, die völlig subjektiv definiert wird, ist total belanglos – okay, ich bin schön, aber nur in den Augen von Onkel Horst, was soll ich mir denn davon kaufen?

Was für schön gehalten wird und was nicht, ist nicht beliebig. Es ist ein Unterschied, ob ich sage: „Du gefällst mir“ oder ob ich sage: „Du bist schön“. Das erste ist rein subjektiv, meine Meinung, beeinflusst von unserer Beziehung zueinander. Der zweite Satz hingegen beansprucht eine gewisse Allgemeingültigkeit. Und deshalb fühle ich mich oft ein bisschen peinlich berührt, oder besser: belogen, wenn jemand über mich sagt, ich sei „schön“. Mag sein, dass es Leute gibt, denen ich gefalle. Aber ich vermute stark, dass das andere Gründe hat als mein Aussehen.

Ich bin dabei durchaus nicht hässlich, sondern, aussehensmäßig, irgendwas mit Durchschnitt. Ich habe auch rein gar nichts an mir auszusetzen – ich muss nicht als „schön“ gelten, um mich wohl in meiner Haut zu fühlen. Wenn ich sage: „Ich bin nicht schön“, dann meine ich damit auch nicht, dass ich anders aussehe, als das klassische Model mit Idealmaßen und blondem Langhaar. Die sind nicht eigentlich schön, sondern auf extreme Weise konventionell, und das Konventionelle ist immer eher ein bisschen banal. Schönheit hat auch etwas „Besonderes“ an sich, weshalb viele kreative und originelle Modebloggerinnen mit Kleidergröße 56 schöner sind als die üblichen Models im Heidi Klum-Stil. Schönheit ist nicht einfach ein Naturzustand, sie muss auch kultiviert werden.

Ich aber, ich bin halt nun mal ganz einfach nicht schön. Und das bereitet mir auch keine schlaflosen Nächte. Es ist einfach eine Feststellung. Denn, wirklich, ich kenne schöne Menschen. Sehr schöne Menschen. Und ich erfreue mich an ihnen. Ich finde Schönheit schön, unbedingt. Ich finde aber nicht, dass alle Menschen schön sein müssen.

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Duni

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fischundfleisch

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Silvia Jelincic

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