Internetkultur: Beschämung, Kritik und Machtverhältnisse

Sicher erinnern Sie sich noch an Monica Lewinsky, die junge Frau, die vor fast zwanzig Jahren den Fehler gemacht hat, sich in ihren Chef zu verlieben – und dieser Chef war leider der Präsident von Amerika. Jetzt hat sich Lewinsky mit einer sehenswerten öffentlichen Redezurückgemeldet. Darin kritisiert sie die Kultur der Beschämung und Erniedrigung, die sich im Internet breitgemacht hat, und deren erstes prominentes Opfer sie selbst war. Eine Kultur, die ganz und gar nicht virtuell ist, sondern schon zu zahlreichen Selbstmorden geführt hat. Besonders gefährdet sind Jugendliche, deren Selbstbewusstsein noch nicht gefestigt ist, und Menschen, die nicht in den Mainstream der „Normalität“ passen, sei es, weil sie aus Sicht der Mehrheit die falsche Hautfarbe, die falsche sexuelle Orientierung, die falsche Religion oder sonstwas haben.

Das Fatale daran ist, dass diese Art von Beschämung und Verunglimpfung inzwischen eine regelrechte Industrie geworden ist. „Public Shaming“, öffentliches Anprangern, ist ein Rohstoff, aus dem sich Klicks und damit Geld generieren lassen. Zu Recht fordert Lewinsky uns alle dazu auf, an dieser Stelle mehr Verantwortung zu übernehmen, mehr Mitgefühl zu zeigen, mehr Einfühlungsvermögen. Also nicht nur zuzuschauen, sondern aktiv zu werden, indem wir die Angreifer in ihre Schranken weisen und den Opfern Zuspruch geben und ihnen zur Seite stehen. Gesetze und Algorithmen können da nur bedingt helfen, eine „kulturelle Revolution“ sei nötig, sagt Lewinsky.

Und tatsächlich: Bevor man einen ätzenden Kommentar ablässt oder ein verächtliches Urteil über eine Person ins Internet schreibt, die man überhaupt nicht kennt, kann es nicht schaden, erst noch einmal in sich zu gehen. Aber in dem Zusammenhang fällt noch etwas anderes auf: Der Verweis auf „diese Internetkultur“ wird manchmal auch als Abwehr gegen berechtigte Kritik eingesetzt. Zum Beispiel wenn sich etablierte und einflussreiche Männer darüber empören, dass Feministinnen im Netz schlecht über sie und ihre Theorien schreiben oder sich sogar, Skandal, darüber lustig machen.

Viele Leute verhalten sich halt einfach wie „Schrödingers Arschloch“, über das Sally Strange auf Twitter so treffend schrieb: “Schrödingers Arschloch: Ein Typ, der beleidigende Dinge sagt und je nach Reaktion der Leute dann entscheidet, ob es nur ein Witz war oder nicht.” Es tritt sich eben immer leichter von oben nach unten als anders herum. Menschen suchen nach Anerkennung, und wer freut sich nicht, wenn die eigenen Beiträge im Internet gelobt und geliked werden. Und aus diesem Grund gibt es immer mehr Leute, die mit dem Strom schwimmen als gegen ihn an.

Die Dynamik des Public Shaming, der öffentlichen Beschämung, ist nichts, was sich unabhängig von gesellschaftlichen Machtstrukturen verstehen und diskutieren lässt.

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Bernhard Juranek

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fischundfleisch

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