Karfreitag, Ostern und wie es um die christliche Leitkultur steht

In meiner Facebook-Timeline fand ich vor ein paar Tagen den Eintrag einer muslimischen Bekannten, die schrieb: „An alle meine christlichen FB-Freundinnen und FB-Freunde: Was für Muslime der Ramadan bedeutet, das bedeutet die Passionszeit und insbesondere die Karwoche wohl für euch als Christinnen und Christen. Einkehr und Auskehr. Ich wünsche euch in dieser Kar-Woche viele besinnliche Momente, Klarheit in Kopf und Herz und den Segen des Allbarmherzigen. Und allen, die in schwierigen Lebensumständen sind Mut und Zuversicht. Ich wünsche euch Gemeinschaft, die sowohl Einigkeit wie Vielfalt sucht, euch trägt und euch Geborgenheit gibt. Ich wünsche euch innige (Vor-)Freude auf und über das Fest der Auferstehung, das wie bei uns das Fest am Ende der Fastenzeit einen frischen, mutigen und verheissungsvollen Neuanfang markiert.“

Dieser Wunsch hat mich sehr gefreut, denn ich finde die Karwoche tatsächlich wichtig. Meiner Meinung nach haben wir viel zu wenig kulturelle Gelegenheiten, die Schattenseiten des Lebens zu bedenken. Alles muss heutzutage doch immer toll, jung, frisch und erfolgreich sein. „Opfer“ ist zum Schimpfwort geworden, wer nicht bei den Schönen und Reichen mitspielen kann, ist doch irgendwie selber schuld.

An meiner christlichen Religion gefällt mir genau das besonders gut: dass Gott hier nicht als großer Zampano in Erscheinung tritt, sondern als verletzlicher Mensch, der leidet, der stirbt. Die Karwoche und besonders der Karfreitag sind ein Anlass, mich dieser Realität bewusst zu stellen und sie nicht schönzureden. Eine Gelegenheit, über das eigene Leiden als das Leid der anderen zu reflektieren, Verantwortung zu übernehmen, möglichst Abhilfe zu schaffen, und darauf zu vertrauen, dass dort, wo ich selbst nichts ausrichten kann, wenigstens Gott bei den Leidenden ist.

Ich gebe zu, der Karfreitag war auch für mich nie ein besonders beliebter Feiertag. Als Jugendliche fand ich es doof, dass die Diskos da geschlossen waren und nur langweiliges Zeug im Fernsehen lief. Ich gehe auch nicht am Karfreitag in die Kirche, und gesellschaftlich spielt dieser Feiertag heute, allem Gerede über eine christliche Leitkultur zum Trotz, doch praktisch keine Rolle mehr. Anders als Weihnachten und Ostern ist er kaum öffentlich sichtbar, und auch die Gottesdienste sind nicht sonderlich prall gefüllt.

Gerade deshalb fand ich diese Karfreitagswünsche einer Muslimin umso erstaunlicher. Eine Außenstehende rief mir damit sozusagen meine eigene Tradition wieder in Erinnerung.

Und das, während gleichzeitig meine „deutsche“ Timeline und mein E-Mail-Postfach schon seit Tagen mit Ostereier-Grußkarten und lustigen Häschen überquillen. Es sind fast ausschließlich Leute mit „christlichem Hintergrund“, die mir diese Ostergrüße schicken, vermutlich kein Wunder, denn auch die Läden sind ja schon lange voll mit Ostereiern und Schokoküken.

Ganz offensichtlich verbindet hierzulande kaum noch jemand die Osterfeiertage mit ihrem religiösen Inhalt – denn sonst würde „Ostern“ ja erst am Sonntag gefeiert (und nicht schon jetzt), weil es doch keinen Sinn macht, eine Auferstehung zu feiern, wenn vorher überhaupt niemand gestorben ist. Ich finde es sehr interessant, dass Muslime und Musliminnen manchmal besser verstehen, worum es in der Karwoche geht, als wir selbst – gerade auch im Zusammenhang mit der Frage, wie es wohl um die „christliche Leitkultur“ steht.

Fotocredit: Fotolia, © Renáta Sedmáková

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Herbert Erregger

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fischundfleisch

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