Immer wenn ein bedenkliches Phänomen auftritt, haben wir die vielleicht nur allzu menschliche Angewohnheit, möglichst schnell Gründe und Ursachen zu finden. Wenn man für ein Problem eine Erklärung hat, dann erscheint es nämlich irgendwie weniger bedrohlich. Leider führt dieser psychologische Kurzschluss in aller Regel dazu, dass das Problem eher größer wird als kleiner.
Aktuell wird in Deutschland darüber diskutiert, ob Ostdeutsche rassistischer seien als Westdeutsche. Das ist ein Thema, das man endlos diskutieren kann. Hin und her geht es da, die Westlers verweisen auf Zahlen und sonnen sich in ihrer angeblichen Rassismuslosigkeit, die Ostlers sind empört, reden von Einzelfällen und weisen jeden engeren Zusammenhang strikt von sich. Es ist offensichtlich, dass beides dazu führt, dass das Problem eher größer wird als kleiner: Die Westlers versäumen vor lauter Selbstzufriedenheit, bei ihren eigenen rassistischen Anteilen genauer hinzuschauen. Und die Ostlers sind versucht, den Rassismus in ihren Reihen tendenziell kleinzureden, jedenfalls nicht zu dramatisieren (was richtig wäre), weil ja ihr Image auf dem Spiel steht.
Dieselbe Dynamik lässt sich auch noch bei vielen anderen Themen beobachten. Ist der Islam frauenfeindlicher als andere Religionen? Sind alte Menschen weniger innovativ als Junge? Es ist im politischen Diskurs fast schon schlechter Standard, problematisches Verhalten mit bestimmten Menschengruppen gleichzusetzen. Das ist aber schlichtweg ein Fehler – und zwar auch dann, wenn sich ein statistischer Zusammenhang belegen lässt.
Der Hintergrund solcher diskursiven Kurzschlüsse ist letztlich, dass von einer statistischen Korrelation auf einen kausalen Zusammenhang geschlossen wird. Der aber meistens nicht gegeben ist. Mag sein, dass das statistische Vorkommen von rassistischen Anschlägen in Ostdeutschland höher ist als im Westen. Aber das heißt eben noch lange nicht, dass das Ostdeutsch-Sein auch deren Ursache ist.
Viel wahrscheinlicher liegen die Ursachen für Rassismus ganz anderswo: Neigung zu Neid und Missgunst, Angst vor gesellschaftlichen Veränderungen (sei es aus einer generell konservativen Grundhaltung heraus oder aus der Erfahrung eines erlebten sozialen Abstiegs heraus), der Versuch, mangelndes Selbstwertgefühl zu kompensieren, fehlende Erfahrung im direkten Kontakt mit „Fremden“, aber vor auch unterschwellige kulturelle Rassismen, die an manchen Orten nicht von einem Gestus der politischen Korrektheit unterbunden werden. Oder auch eine Gruppendynamik, bei der sich verschiedene Leute gegenseitig anstacheln.
All diese möglichen Gründe – und es gibt bestimmt noch tausend andere – sind sehr viel wahrscheinlicher ein Grund für Rassismus als das Ostdeutschsein. Und sie sind es, die erforscht und über die geredet werden muss. Dass ist eine Aufgabe für alle und nicht speziell eine ostdeutsche Angelegenheit.
Nicht Ostdeutsche sind Rassisten. Rassisten sind Rassisten.