Der Satireblog „Postillon“ hat vermeldet, dass ab sofort die „Rente zwölf Jahre vor dem Tod“ eingeführt werde. Was auf den ersten Blick wie ein Witz klingt (weil wir doch gar nicht wissen, wann wir sterben), ist auf den zweiten Blick gar nicht mal so absurd. Denn wissen wir wirklich nicht, wann wir sterben?
Individuell natürlich nicht, denn alle Menschen können jederzeit sterben. Auch wenn wir das im Alltag gerne verdrängen und so tun, als ginge das Thema nur alte Leute etwas an. Aber wir alle können heute noch sterben, an einem plötzlichen Herzschlag zum Beispiel oder weil wir vom Auto überfahren werden. Das ist zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber es ist möglich, und wenn jemand erst einmal tot ist, ist es völlig egal, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich das war.
Auf die Masse gesehen gibt es aber tatsächlich starke statistische Zusammenhänge zwischen der Lebensdauer und der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe. Wie lange ein Mensch lebt, ist nicht einfach nur individuelles Glück oder Pech, sondern hängt auch von anderen Faktoren ab. Frauen zum Beispiel leben in Deutschland und Österreich im Schnitt fünf Jahre länger als Männer. Genauso groß ist der Unterschied zwischen Reichen und Armen.
Von daher lässt sich durchaus fragen, wie gerecht es eigentlich ist, wenn alle im selben Alter in Rente gehen. Denn mit großer Wahrscheinlichkeit beziehen die einen dann deutlich länger Rente als die anderen. Bei Frauen gleicht sich das im Schnitt vielleicht noch aus, weil ihre Rentenansprüche wegen Kindererziehungszeiten und statistisch geringerem Gehaltsniveau viel niedriger sind als die von Männern. Aber bei Armen und Reichen ist es ganz offensichtlich ungerecht: Wer gut verdient hat, kriegt im Alter nicht nur monatlich mehr Rente ausbezahlt, sondern auch noch viele Jahre länger.
Doch nicht nur wegen der unterschiedlichen Lebenserwartung verschiedener Bevölkerungsgruppen ist die derzeitige Renten-Regelung fragwürdig. Sie wird auch dem Arbeitsleben und seinen Anforderungen nicht gerecht. Ein Bauarbeiter oder eine Krankenschwester, die körperlich anstrengende Arbeit leisten, sind oft schon mit 55 Jahren an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit, während es bei vielen Bürojobs eigentlich keinen Grund dafür gibt, mit 65 aufzuhören.
Von daher: Die Idee einer „Rente zwölf Jahre vor dem Tod“ ist zwar ein Witz, aber einer, der tatsächlich auf ein heißes Eisen hinweist. Wegen des demografischen Wandels wird der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung immer größer, und das stellt uns vor die Notwendigkeit, die bisherigen Rentenkonzepte zu überdenken. Das Rentenalter sukzessive für alle anzuheben, so wie es derzeit gemacht wird, ist zwar eine einfache Lösung, aber keine wirklich gute und nachhaltige.
Je älter Menschen werden, desto weniger sagt ihr kalendarisches Alter etwas über ihre tatsächlichen Lebensverhältnisse aus. Während es durchaus in Ordnung ist, alle Kinder mit sechs Jahren in die Schule zu schicken, weil sie tatsächlich einen mehr oder weniger ähnlichen Entwicklungsstand haben, ist es immer schwieriger, mit solchen pauschalen Jahreszahlen zu operieren, je älter die Menschen sind, um die es geht. Alte Menschen haben ein langes Leben hinter sich, das je nachdem, wie es verlaufen ist, sehr unterschiedliche Spuren hinterlassen hat. Der eine besteigt mit 75 noch Berge, der andere schafft es nicht mal mehr in den dritten Stock. Deshalb können wir alte Menschen nicht einfach so über einen Kamm scheren. Wir brauchen flexiblere und differenziertere Maßstäbe dafür – zum Beispiel, aber nicht nur, bei der Rente.