Im April erscheint in Schweden die neue Auflage des offiziellen Wörterbuchs der schwedischen Sprache, und dort ist dann auch ein geschlechtsneutrales Pronomen für Personenanreden zu finden: „Hen“. Es ergänzt die beiden geschlechtlichen Pronomen „sie“ (hon) und „er“ (han) und wird verwendet, wenn von Menschen die Rede ist, deren Geschlecht entweder unbekannt ist, oder die kein eindeutiges Geschlecht haben (Intersexuelle oder genderqueere Personen) oder – und das ist der interessanteste Aspekt dabei – wenn man beim Sprechen ausdrücken möchte, dass das Geschlecht der Person, um die es gerade geht, in diesem Zusammenhang keine Rolle spielt.
Schweden ist beim kulturellen Umgang mit Geschlechterdifferenzen ja generell etwas lockerer als wir in Österreich oder in Deutschland, da wird mehr experimentiert und weniger verklemmt an vermeintlich unabänderlichen Traditionen festgehalten. Hierzulande hingegen ist gerade bei sprachlichen Neuerungen gern mal zu hören, da würde etwas von oben „verordnet“. Tatsächlich ist aber genau das Gegenteil der Fall: Wörterbücher bilden in der Regel nur ab, was sich im alltäglichen Sprachgebrauch bereits „eingebürgert“ hat. Die jetzige Neuauflage des schwedischen Duden-Pendants zum Beispiel enthält insgesamt 10.000 neue Wörter.
Insofern wird „Hen“ jetzt nicht „eingeführt“, sondern bloß offiziell kodifiziert. Ganz offensichtlich hat zumindest ein Teil der Bevölkerung in Schweden das Bedürfnis, beim Sprechen über Personen nicht ständig gezwungen zu sein, deren Geschlecht herauszuheben. Ausgegangen war das zunächst von Personen, die kein eindeutiges Geschlecht haben oder sich keinem zuordnen möchten. Aber diese relativ kleine Personengruppe hätte wohl kaum einen allgemeinen Sprachwandel ausgelöst. Vielmehr gibt es das Bedürfnis nach sprachlicher „Neutralität“ auch bei vielen, die gar kein Problem damit haben, sich als Frau oder als Mann zu identifizieren. Im Englischen zum Beispiel hat es sich eingebürgert, in diesem Fällen „they“ als geschlechtsunabhängiges Singularpronomen zu verwenden.
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Nicht alles, was sich unterscheiden lässt, muss nämlich auch andauernd sprachlich unterschieden werden. Im Deutschen zum Beispiel gibt es nur ein Wort für „Schwester“, und zwar egal, ob sie jünger oder älter ist. In vielen Kulturen ist das aber anders, weil dort soziale Beziehungen sehr stark mit dem Alter verknüpft sind: Im Chinesischen etwa gibt es für „ältere Schwester“ und „jüngere Schwester“ zwei verschiedene Wörter. Dass wir im Deutschen beide gleichermaßen „Schwester“ nennen, heißt aber doch keineswegs, dass wir den Unterschied zwischen jüngeren und älteren Schwestern verleugnen würden. Es bedeutet bloß, dass wir ihn normalerweise für nicht groß erwähnenswert halten.
Mit den Geschlechterunterschiede ist es einfach genau dasselbe. In vielen Alltagsbereichen haben sie heute nicht mehr dieselbe Bedeutung wie in früheren Jahrhunderten, etwa im Rechtssystem: Frauen haben sich dieselben formalen Rechte wie Männer erkämpft, also ist es nicht mehr notwendig, in Gesetzestexten nach Geschlecht zu unterscheiden – früher war das aber wichtig. Und ganz ähnlich verhält es sich eben auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen.
Allerdings keineswegs in allen. Bei vielen Themen ist es nämlich nach wie vor wichtig, auf die Geschlechterdifferenz aufmerksam zu machen, weil sie tatsächlich noch eine große Rolle spielt. So ist es überhaupt nicht dasselbe, ob die neue Kollegin im Kita-Team eine Erzieherin oder ein Erzieher ist zum Beispiel, ob in einem Land eine Präsidentin oder ein Präsident die Wahlen gewinnt, oder ob im Vereinsvorstand lauter Männer oder lauter Frauen sitzen oder das Verhältnis halbwegs ausgewogen ist.
Genau hier liegt die große Chance der schwedischen Sprachpraxis, die ich mir so ähnlich auch fürs Deutsche wünsche: Dass wir beim Sprechen ein Bewusstsein dafür entwickeln, in welchen Kontexten die Geschlechterdifferenz unserer Ansicht nach keine Rolle spielt – und in welchen sie sehr wohl eine spielt. Schwedisch sprechende Menschen haben nun die Möglichkeit, diese jeweilige Einschätzung, die ja durchaus eine politische Dimension hat, mit einfachen Mitteln sprachlich zum Ausdruck zu bringen. Tolle Sache.