Was soll das denn sein, das gute Leben?

Früher war jemand, der „gut lebt“, der es „sich gutgehen lässt“, jemand, der genug Geld hatte und es auch gerne ausgab, der sich nach dem Schnitzel noch einen Pudding gönnte, und nach dem Bier noch einen Schnaps. „Gutes Leben“ war für viele gleichbedeutend mit materiellem Wohlstand, mit Schlemmerei.

Aber irgendwann merkten immer mehr Leute, dass „gutes Leben“ sehr viel mehr ist als einfach nur prassen und fressen. Dass es dabei nicht nur um mehr Geld und mehr Konsum geht, sondern auch um immaterielle Werte, um Glück und Zufriedenheit, um Freundschaft und Liebe, um Zeit, um Schönheit. Inzwischen ist das „gute Leben“ zum Markenzeichen für eine politische Bewegung geworden. „Her mit dem guten Leben!“ ist ein Slogan auf vielen kapitalismuskritischen Veranstaltungen. Inspiriert ist das Konzept auch von der lateinamerikanischen Philosophie des „Buen Vivir“, die ökologische Nachhaltigkeit und sozialen Wohlstand meint.

Aber ist das nicht zu unbestimmt, das „gute Leben“ in den Mittelpunkt der Politik zu stimmen? Was soll das sein, das gute Leben?

Tatsächlich formiert sich inzwischen schon wieder eine Gegenbewegung, die behauptet: Wer „gutes Leben“ fordert, will Leuten einen bestimmten Lebensstil vorschreiben, Gemüse statt Schnitzel etwa. Ein gutes Leben zum Maßstab für Politik zu machen, das sei gleichbedeutend mit dem moralischen Zeigefinger des „Gutmenschentums“ und untergrabe die Freiheit der Einzelnen, ihr Leben so zu leben, wie sie es für richtig halten.

Und tatsächlich, wer wollte bestreiten, dass in der politischen Arena viel Moral im Spiel ist, Heilserwartungen und Erlösungsversprechen von Leuten, die behaupten, das Rezept für gutes Leben gefunden zu haben. Es ist auf jeden Fall richtig, misstrauisch zu sein, wenn jemand umstandslos von sich auf andere schließt nach dem Motto: „Dies oder jenes hat mir geholfen, also musst du das auch so machen, am besten machen wir gleich ein Gesetz dazu.“ Es gibt nicht das gute Musterleben, kein abstraktes Rezept, sondern „gutes Leben“ muss sich immer im konkreten Fall beweisen. Man kann es nicht dekretieren.

Aber das Konzept selber müssen wir deshalb nicht aufgeben. Denn gerade weil der Begriff des „guten Lebens“ so unbestimmt ist, ist er stark – und auch das genaue Gegenteil von Moral, die ja immer abstrakte Pflichten und Normen beinhaltet. Gutes Leben ist aber für jede und jeden etwas anderes, und es ist auch von Situation und Kontext abhängig. Menschen haben individuelle Vorlieben, Bedürfnisse, Wünsche und Ideen. Ein „gutes Leben“, das von oben herab verordnet wird, ist keines.

Aber heißt das, dass der Begriff in politischen Debatten keine Rolle spielen darf? Keineswegs. Er lädt nämlich dazu ein, sich darüber Gedanken zu machen, was man selbst denn von einem guten Leben erwartet. Das „gute Leben“ als Horizont, an dem sich politische und wirtschaftliche Projekte messen lassen (müssen), ist ein guter Anhaltspunkt für Debatten. Es ist mit Sicherheit ein besserer Maßstab als, zum Beispiel, die Höhe des Bruttosozialproduktes. Es ist zum Beispiel leichter, mit dem Argument „Wirtschaftswachstum“ Waffenlieferungen in Entwicklungsländer zu begründen, als wenn man erläutern muss, inwiefern Waffenlieferungen denn einem guten Leben dienen. Politik wird besser, wenn diejenigen, die daran beteiligt sind, im Hinterkopf haben, dass ihre Aufgabe das „gute Leben“ ist – und nicht die nächste Wiederwahl oder der Exportüberschuss.

Eines allerdings sollte klar sein, und da kommt dann vielleicht doch ein bisschen Moral ins Spiel: Das gute Leben als politischer Maßstab funktioniert nur, wenn es für alle Menschen gilt. Wenn hingegen das Streben nach einem „guten Leben“ egoistisch wird, oder nationalistisch (was ja nur eine kollektive Form von Egoismus ist), dann ist es in der Tat schädlich.

Das gute Leben ist ein gutes Leben für alle – oder es ist keines.

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