Kölner Silverster-Horrornacht: Natürlich spielt die Herkunft der Täter eine Rolle. In welchem Ausmaß? Dafür fehlen weitere Informationen. Wer sich dabei auf Heimatregionen beschränkt, ist entweder manipuliert oder Manipulierende_r in einem Machtkampf, in dem es nicht nur um die Integrität von Frauen geht, sondern auch um jene der europäischen Gemeinschaft.
2016 im krisentlichen Abendnachrichtenland:
Die längste Silvesternacht Kölns wirkt nach. Immer noch: Viel Ermittlung, viele Festnahmen. Insassen der U-Haftzelle schwanken angeblich zwischen 1 und 2. Der Umstand, dass ausschließlich gegen Typus „Maghreb-Arabien“ ermittelt wird und noch nicht viel dabei herauskam, scheint nicht zu stören. Gilt vielleicht nicht als Hinweis, dass man den Personenkreis erweitern, das Täterprofil präzisieren sollte. Hielt man auch bei den NSU-Mordermittlungen lange Zeit für unnötig. Es ging schließlich nur um Türken, über die wüsste man schon bescheid. Jetzt sind wieder nur Ausländer von dort unten (oder dort drüben) involviert. Dabei erscheinen die Ermittlungen gewissen Leuten als unumstößlicher Beweis, dass es ein generelles Sexualdelikt-Problem mit diesen Ausländern, Flüchtlingen und Asylbeziehern gebe; nicht nur in der Billigpresse. Wegen teils spekulierten eintausend Straftätern, solle man hunderttausenden Unschuldigen die Grenzen dicht machen, fordern manche. Die EU-Gegnerinnen in diversen Regierungen und die Berufspopulisten, die dort gerne säßen, wittern ihre Chance für weitere Sabotagen an der Gemeinschaft.
Keine Frage des Dürfens
Währenddessen diskutieren die deutschen Grünen intern, ob man – so als deutsche Einheitspartei – über die Herkunft der Täter überhaupt sprechen dürfe. Für verfassungsgemäß unabhängige Abgeordnete ist Redefreiheit eben gefährlich. Liegt am Job. Manche Grünen wollen sicher auch Ausländer_innen vor weiteren Anfeindungen schützen. Löblich! Aber dieser Zug ist abgefahren und die Gehirne sind bereits dichter als die Grenzen. Von Anfang an wurde ausschließlich über die Herkunft der Täter gesprochen, definiert, spekuliert, pauschalisiert. Natürlich: Über irgendwas muss man reden, wenn solche schrecklichen Angriffe verübt werden. Kennt man den Inhalt eines Buches nicht, redet man eben über die Buchdeckel.
Wer übers Reden redet, hat nichts zu sagen
Oder man redet übers Reden: „Das wir man doch noch sagen dürfen.“ Darf man. Also sprich! Die Herkunft der Täter spielt eine Rolle – immer. Auch wenn das Hundstrümmerl vor meiner Haustüre vom Schäferhund Eva aus der ur-ur-deutschen Nachbarfamilie her künft. Wer aber wirklich die Tatmotiven begreifen will, darf nicht nur Himmelsrichtungen deuten. Staat, Stadt, Viertel, soziale Schicht, Bildung, Jugend, eventuelle Drogengeschichten, Krankheiten, Psychosen, die gesamte Geschichte dieser Täter müsste erzählt werden. So wie man es bei jedem Amokläufer macht... solange er kein dschihadistischer Terrorist ist. Bei denen fragt man nicht mehr nach. Die sind halt so.
Keine Prävention ohne Information
Ursachenforschung kann helfen, ähnliche Angriffe in Zukunft zu verhindern. Dafür müssten die Schuldigen (nicht nur die Beschuldigten) bewiesenermaßen festgestellt werden. Selbst wenn es eintausend wären, sollte man herausfinden, was sie repräsentieren. Millionen andere Männer des Hummus-Shisha-Kulturkreises? Wenn wir nur auf die Herkunft, das Fremde, den Islam(ismus) starren, werden wir blind für alles andere.
Maskierte Helden
Ich muss schon die englischsprachigen Nachrichten lesen, um zu erfahren, dass muslimische Flüchtlinge in jener Silvesternacht eine Frau vor dem Mob in Sicherheit brachten. Herkunft? Syrien. Einer aus dem zerbombten Aleppo, vom Beruf Grundschullehrer. Erklärt das was? Nehmen wir nun sämtliche Grundschullehrer von der Sippenschuld aus? Wozu? Pauschalurteile gegen ganze Regionen sind so unbrauchbar wie eine chaotische Horde besoffener Jungmänner am Neujahrsabend. Sobald es um Muslim_as geht, scheint allerdings vielen das Rechtsstaatsempfinden in die Hose zu rutschen. Teilweise verständlich: Ich hätte z.B. gerne mal etwas Hetze gegen Personen mit Briefkastenfirmen. Deren Steuerhinterziehung ist zwar meist so legal wie das Asylansuchen. Aber man könnte für Steuerflüchtlinge vielleicht eine "Obergrenze" einführen.
Wer nicht will, will etwas anderes
Wer nicht genauer hinsehen will, macht sich entweder abhängig von Heuchler_innen, die unser zur Staatsreligion erhobenes Krisentum gut für ihre politischen Zwecke missbrauchen können – oder gehört zu ihnen. Kannst du nicht Kaiser im Reich sein, wirst du eben Provinzkaiser oder -Kasperl. Dabei kann EU-Autorität stören. Deren Legitimität wird beschädigt, indem Funktionalität und europäische Solidarität untergraben werden. „Hoppala! Mir ist meine Europapolitik entglitten. Jetzt muss ich sie leider ganz in den Müll hauen.“ Als Ausrede und Sündenböcke dafür dienen Flüchtlinge. Logisch also, dass gewisse Kreise, im Falle der Kölner Übergriffe, nicht genauer hin reden, schauen, denken (lassen) wollen. Die aktuelle Situation passt ihnen. Der Begriff „Herkunft“ war schon immer – so wie „Heimat“, „Nation“ oder „Volk“ – ein beliebig formbares Material für Populismus, Propaganda und Aufwiegelei. Nicht nur im Osten der EU. Die ewige Frage der Herkunft ist eine Fangfrage an uns selbst.