Wenn man sich einen Schnizer erlaubt
Das rechtskonservative Österreich (mir scheint, vor allem die Presse) kann Verfassungsrichter Johann Schnizer nicht fassen (hoffentlich nicht intellektuell, sondern quasi sittlich). Der machte einfach den Mund auf, als Privatperson!? Dabei lohnt es sich für alle, die irgendwelche Headlines verfolgen, das betreffende Falter-Interview zu lesen. Nicht nur wegen einem offenbar und amüsant fassungslosen Florian Klenk, der die Frage nach einem bisher (zumindest ihm und mir) unbekannten Detail gleich dreimal stellte.
[Es wurde nämlich nicht nur der Briefwahlumschlag unbefugt geöffnet, sondern auch das Kuvert darin und damit das Wahlgeheimnis in zehntausenden Fällen potenziell verletzt. Auch wusste ich nicht: Seit 1927 gab 136 Wahlaufhebungen in unseren Republiken.]
Die FPÖ interessiert sich aber vor allem für einen Absatz. In dem behauptet Schnizer, die Partei habe die Wahlanfechtung bereits vor der Stichwahl vorbereitet. Freiheitlicher Hausjurist Böhmdorfer spricht von der Unterstellung „krimineller Vorbereitung“. Herbert Kickl droht mit Klage. Auch wenn Schnizer das so nicht sagte. Vor allem verteidigte er das von der FPÖ angestrebte Urteil.
Anwaltskanzlei FPÖ
Aber im Klagen sind sie halt schnell, reflexartig, die Rechtspopulisten. Sie klagten den ORF, weil dessen Reporter Hitlergrüße bei einer blauen Kundgebung hörten. Hofer klagt den Tiroler SPÖ-Chef, weil dieser „Nazi“ zu ihm sagte (aber laut Urteil durfte er). Der FPÖ-Vize-Bürgerschreck von Treffen klagte eine Lehrerin, weil diese ihm eine „infame Lüge“ unterstellte, anstatt von Unwahrheit zu sprechen. Man muss nur „FPÖ klagt“ googeln und gewinnt den Eindruck, diese Partei ist eine halbe Anwaltskanzlei. Die andere Hälfte ist eine Marketing-Agentur.
Der Rechtsstaat als Propagandabühne
Neben den tatsächlichen Klagen, geht's ihr vor allem um das Drohen mit rechtlichen Schritten, sobald jemand unvorsichtige Kritik an ihr übt, sprich klagbare Worte wählt. Rechtspopulist_innen sind bekanntlich besser im Austeilen.
Und woher kenne ich das noch? Richtig! Donald J. Trump ist ebenfalls bekannt dafür, gerne, häufig und lautstark mit Klagen zu drohen. Das muss er auch nicht. Sobald einer im Rampenlicht steht und mit grimmigen Gesten verkündet, vor Gericht zu ziehen, gewinnt die Öffentlichkeit tendenziell den Eindruck, er wäre im Recht. Auch wenn er es nicht ist. Woher soll man das auch wissen, wenn er dabei doch so überzeugt wirkt bzw. wenn es dann doch nie zu einem Prozess kommt.
Aber egal welchen Eindruck die Öffentlichkeit gewinnt, wichtig ist vor allem, dass man von ihr be- und gemerkt wird. Suchmaschinen, Nachrichtensender, Soziale Netzwerke müssen deinen Namen möglichst oft, in Verbindung mit einer solchen Kampfansage, ausspucken. Das juristische System wird also – nicht nur für Wahlanfechtungen – direkt für die Propaganda, für das politische Marketing eingespannt.
Im Vergleich zum amerikanischen Zornbinkerl ist die FPÖ mutiger oder was auch immer. Sie verliert nämlich (wie Trump) immer wieder Prozesse, hat aber sicher nicht seine Finanzkraft, um weiter zu machen. Sie macht es dennoch, scheint sich auszuzahlen. Woher sie wohl das Geld für Prozesskosten nimmt? Man wird sicher woanders sparen. Bei der Moral-Manpower vermutlich. Oder beim politischen Inhalt.
Es ist jedenfalls bemerkenswert, wie der „Rechtspopulismus“, die professionelle Demagogie und das ständige Klagen und Jammern Hand in Hand gehen. Nach dem Motto: „Wir wollen gegen Minderheiten hetzen, aber unser Ansehen lassen wir uns nicht verletzen!“
Beklagenswerte politische Kultur
Eine politische Kultur des Klagens auf allen Ebenen (wenn nicht vor Gericht, dann in den Medien): Betrieben von Politikern, die ständig von der „Freiheitlichkeit“ und „unseren Werten“ poltern, aber am liebsten alle juristisch zum Schweigen brächten, die eine abweichende freie Meinung haben. Man stelle sich das auf zwischenmenschlicher Ebene, im alltäglichen Leben vor: „Hearst, Sackbauer! Warum die Scheidung?“ - „Mei Oide hot mei Bier rufgeschädigt.“ Menschen ohne Geld und Anwälte, sind zum Glück gezwungen, ihre Konflikte außergerichtlich zu lösen.
Gemeinsam für den Klimawandel
Mir fällt noch eine Verbindung zwischen Trump und H.C. Strache ein. Beide halten den Mensch gemachten Klimawandel für Unsinn. Gegenmaßnahmen könnten nämlich Großkonzerne etwas kosten. Und unseren Volkshelden ist es möglicherweise lieber, dass das einfache Volk draufzahlt. Ich sage „möglicherweise“. Ich will ja nicht verklagt werden.
Gage Skidmore GhuenterZ