Die in den freudig-schockierten Medien verbreitete Meinung, die Koalitions-Parteien in Österreich könnten nicht mehr miteinander, ist Teil des Unsinns der zur Zeit abrennt. Natürlich könnte man zusammenarbeiten. Kanzler Kern konnte und wollte weitermachen, Ex-Vizekanzler Mitterlehner hätte gekonnt und gewollt.
Nur Innenminister Sobotka wollte nicht. Diese wandelnde Rache Erwin Prölls an der Bundesrepublik sabotierte die Regierungszusammenarbeit so lange, bis sein (offizieller) Ex-Partei-Chef auch nimmer wollte. Genauer gesagt: Mitterlehner hätte durchaus mit der SPÖ weiterkoaliert, nur nicht mehr mit seiner eigenen Partei! Österreich steht Kopf.
Sebastian Kurz, Designer-Populist jüngster Generation, wartete bereits in den Startlöchern: Nein, ich stehe nicht zur Verfügung. Reinhold Mitterlehner ist unser Parteichef... Gewesen. Denke trotzdem nicht darüber nach. Na, gut ich mach's! Hier habe ich zufällig einen Plan in der Sakko-Tasche. Hintergrundgespräche? Längst geführt. Bin ich an'grent und mache so was spontan? Und hier sind meine Forderungen: Ich will alle Macht in der Partei, genau wie der Geert Wilders! Ich will, dass sich die ÖVP meiner öffentlichen Persönlichkeit unterwirft wie die US-Republikaner unter Trump! Ich will eine so fesche Bewegung haben und so fesch sein wie Emmanuel Macron!
Der Vergleich mit Macron überlebt nur an der Oberfläche. Er und kurz sind zwar beide neoliberale Proeuropäer. Allerdings machte der neue französische Präsident keine klassische Partei-Karriere, nur zwischen 2006 und 2009 als Mitglied der Sozialisten, fiel deren Regierung dennoch nicht in den Rücken, sondern legte sein Amt 2016 nieder, um, ohne sich Optionen offen zu halten oder irgendjemanden zu erpressen, „En Marche!“ zu starten. Als studierter Philosoph weiß Macron auch, was Moral bedeutet, während man laut Kurz aufhören solle „mit der Trennung in Gut und Böse“.
Der Machtwechsel in der SPÖ, durch Christian „Slim-Fit“ Kern, lief ebenfalls anders ab. Faymann konnte – aus Sicht der eigenen Basis – nicht mehr. Kerns offen inszenierte Polit-Shows liefern wenigstens auch Inhalte und pausieren während der konkreten Arbeit. Kurz hingegen scheint die Arbeit in den Dienst des öffentlichen Auftritts zu stellen.
Die dunkle Seite der Macht
Die Kurz-Krönung wird von Möchtegern-Diktator Victor Orbán bejubelt. Willkommen auf der dunklen Seite der Macht! Und ausgerechnet die konservative Volkspartei hat sich, um ein langsames Ende zu verhindern, für die rasche Sterbehilfe entschieden. Ihre Zukunft heißt „Liste Kurz“. Personenkult sind Programm. Dem wird die eigene Partei, Koalition und Arbeit für die Republik geopfert. Reformen und Eurofighter-U-Ausschuss werden voraussichtlich unterbrochen oder abgebrochen, damit es sich der Herr Kurz im Chef-Sessel bequem machen kann.
Leistungen des Parteichefs der Leistungswilligen
Dabei ist die Erfolgs-Liste des Außen- und Integrationsministers – für anderes als seine Karriere – so kurz wie die seiner Regierung(en). Vermutlich bleibt er deshalb am häufigsten von allen Mitgliedern deren Sitzungen fern, um nur nicht mit ihr in Verbindung gebracht zu werden. Dafür bietet sich sein äußeres Amt so wunderbar an, besser hätte man es nicht planen können: Fotoshootings weit, weit weg, bei wichtigen staatsmännischen Auftritten im Ausland, sind immer zu bevorzugen (Das lebte Angela Merkel bereits vor, als Kurz noch am Anfang seiner Karriere stand).
Zugegeben: Kurz machte sich am Höhepunkt der Flüchtlings-Hysterie zum Liebling des deutschen Talkshow-Publikums. Kein Wunder, dass die Wahl des perfekten Schwiegersohnes zum Parteiobmann am Muttertag stattfand. Wohl artikuliert, im ewig gleichen, ein bisserl bübischen Sprechton erklärt er uns, dass er mehr oder weniger eigenhändig die Balkan-Route für Flüchtlinge sperrte (Slowenien und Mazedonien, die den Anfang machten, warteten gewiss auf die erlauchte Erlaubnis aus der Habsburger-Metropole). Und diverse Medien kopieren, dass seither alles gut sei – zumindest dort. Was hinter dem Tellerrand passiert? In Griechenland und Italien? Im Mittelmeer? Das hat doch mit uns nichts... Schau mal, da hinten! Da sind Neuwahlen in Sicht!
Ein Gutbürger für Wutbürger
Auch schaffte Kurz, wovon Straches FPÖ nur träumen kann: Als seriös wirkendes Regierungsmitglied gutmenschlich Flüchtlingen die Hand zu schütteln und zugleich den Flüchtlingsschreck zu spielen; mit irrealen Vorschlägen wie EU-Flüchtlingslager in Nordafrika oder falschen Vorwürfen gegenüber lebensrettenden NGOs. Dabei klingt er natürlich um so vieles netter als H.C., dass man beinahe seinen derben Rechtspopulismus überhören könnte. Wenn man will.
Wenigstens hätte er Themen enttabuisiert (Flüchtlingskrise, Integrationsdebatte, Türkei-Beitritt), sagen jene, die diese Tabus erfanden. Jedoch scheint er keine Zeit zu haben, sich um die dahinterliegenden Probleme zu kümmern. Wer Erster auf der Karriereleiter sein will, muss schnell weiter zum nächsten Fototermin. Währenddessen konnte Klassen-Bully Sobotka in der Koalition randalieren, ohne die weiße Weste seines neuen Bosses zu versauen.
Frage der politischen Kultur
Die Regierungskoalition scheitert nicht, weil die beiden Parteien nicht zusammenarbeiten könnten. Sie scheitert an Eitelkeiten und Machtgeilheit innerhalb der ÖVP (Stichwort Moral) und an der Verwandlung der "Volkspartei" in eine Ein-Mann-Show.
Die Antwort auf die Frage, ob Österreich dieses Politainment für House-of-Cards-Fans bei den Neuwahlen belohnen oder abstrafen wird, wird zum Urteil über unsere politische Kultur.
Hat der Populismus der hübschen Frisuren immer noch eine Chance in Europa? Oder beginnen wir das Theater zu durchschauen und den Unsinn zu beenden? Weil wir uns wieder mit konkreten Inhalten und Leistungen beschäftigen, anstelle von politischer Seifenoper? Das sind ebenfalls keine Fragen des Könnens, sondern des Wollens.