Was man Maria L. aufgrund ihres Alters, ihres wohl behüteten und wohlsituierten Elternhauses nicht vorhalten kann, kann und sollte man stattdessen jenen vorhalten, die Maria L. diese naive Unbekümmertheit auf allen Ebenen vermittelten. Medien, Politik, vielleicht auch Eltern, die bis heute relativieren, die nicht wahrhaben wollen, dass es das Böse gibt. Dass wir nicht jeden retten können und nicht jeder unsere Hilfe verdient hat. Es ist ferner die Vorstellung eines sicheren Staates, einer europäischen Welt, in der nicht allzu Schlimmes geschieht, die Maria L. in Sicherheit wog. Die sie in der Nacht als junge Frau alleine nach Hause fahren ließ in dieser Sicherheit, die doch eigentlich längst nicht mehr existiert.
Während sich unser eins seit Monaten zusätzliche Schutzmaßnahmen von Pfefferspray bis Bewaffnung überlegt, glaubte Maria L. immer noch an das, was man ihr erzählte. Dass sich hier durch die vielen arabischen Männer nichts an der heilen Welt verändern würde und vor allem daran, dass wir ihnen helfen müssen. In Letzterem liegt das eigentlich Fatalistische dieser Indoktrination verborgen.
Oft wird die Nazi-Vergangenheit Deutschlands herangezogen, um diesen ausgeprägten Schuldkomplex zu begründen. Weshalb wir der glauben, helfen, bedingungslos tolerant gegenüber dem Fremden sein zu müssen.
Obgleich wir in dieser Frage sicherlich auf Empörungsimpulse reagieren, spielt dieses als Kollektivschuld in die Erinnerungs- und Geschichtskultur Deutschlands eingegangene düsterste Kapitel deutscher Geschichte nach all meiner Erfahrung insbesondere in Bezug auf die jüngere bzw. meine eigene Generation eine nicht annähernd so signifikante Rolle wie oft angenommen. Zumal der deutsche Umgang mit der eigenen Geschichte des Nationalsozialismus und die daraus gezogenen Konsequenzen mitnichten eine Erklärung für die nahezu identischen ideologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im europäischen Umland bietet.
Viel entscheidender, insbesondere für die von linken Narrativen dominierte junge Generation, aber in immer weitreichenderem Maße auch für die älteren Generationen, ist demnach ein anderer Schuldkomplex – und zwar jener, der vermeintlichen Ausbeutung der Dritten Welt durch die Erste Welt, in der wir leben.
Dieser Schuldkomplex, ich spreche da aus eigener Erfahrung, ist aufgrund seiner größeren Aktualität viel wirkmächtiger als der des Nationalsozialismus. Er ist es, der dafür sorgt, dass man als junger, linker Mensch die bloße eigene Existenz, das Privileg qua Geburt als Schuld begreift. Der in dir den Glauben heranwachsen lässt, jeder Kassenbon sei eine politische Manifestation. Die dir das schlechte Gewissen bei jedem Kauf eines H&M-Tops, auf dem Made in Bangladesh steht, in den Kopf treibt und dir die hochkomplexen Konflikte im Nahen und Mittleren Osten lediglich als imperialistische und ressourcenbasierte Kriege des Westens verkauft.
Es ist jenes vermeintlich intellektuelle Weltbild der linken Bourgeoisie von Augstein bis Todenhöfer und moralinsauren Schauspielern und Musikern, welches vor allem durch seine unterkomplexe und ignorante Simplizität seine ganze Wirkmacht entfaltet und heute als Hauptgrundlage unseres bedingungslosen Strebens nach „Wiedergutmachung“ an den hier Eingewanderten dient.
Dass in Bangladesh nicht alles gut ist, lässt sich ja auch leicht erkennen. Dass die Textilindustrie in einer globalisierten Welt zumeist der erste Schritt raus aus der Armut eines Landes ist, dass es den Menschen in Bangladesh heute um ein vielfaches besser geht als noch Anfang der 1990er Jahre, lässt man hingegen gerne aus. Unser Problem bei diesem wie so vielen anderen Problemen der Welt, so auch in Afrika, ist nicht, wie schlecht es den Menschen gemessen an ihrer Ausgangsposition geht, sondern gemessen an unseren eigenen westlichen Maßstäben.
Dass wir darüber vergessen, dass es sich um hochkomplexe gesellschaftliche Prozesse handelt, die individuell, auf das jeweilige Land bezogen, unterschiedlich viel Zeit beanspruchen. Dass es utopisch ist, zu denken, man könne den Hunger Afrikas von heute auf morgen beseitigen, aber realistisch, wenn man sagt, dass es allen Dritte-Welt-Ländern heute wesentlich besser geht als noch vor 50, 40 oder auch nur 20 Jahren. Zu lernen, dass die Welt nicht gerecht ist, aber wenigstens gerechter wird. Dass das, was es braucht, nicht mehr linke Utopisten sind, sondern mehr Rationalisten mit Geduld und Sachverstand, um Fortschritte mit den Betroffenen weiter voranzutreiben statt sie weinerlich zu bemitleiden.
Es ist die Anerkenntnis, dass wir die Welt nicht retten können, indem wir möglichst viele Menschen aufnehmen. Dass die Welt, diese Länder, ihre Menschen, sich selbst retten müssen und unsere Aufgabe hier vor allem in der Impulssetzung vor Ort liegt in dem sie die Begabten befähigt und nicht die Klugen und Fixen in das deutsche Sozialsystem überführt, wo ihre Talente verkümmern. Dass die wirtschaftlichen Probleme in diesen Ländern meist andere Ursachen haben als vermeintliche westliche Ausbeutung und dass ein Reduzieren der Krisen, Kriege und Konflikte im Nahen und Mittleren Osten auf westliche Intervention zu einfach ist angesichts von Jahrhunderte andauernden multiethnischen und religiösen Konflikten in diesen Regionen.
(Anabel Schunke - Tichys Einblick - "Bis die Revolution ihr nächstes Kind frisst" )
Maria L. war nicht das erste Kind, das auf dem Scheiterhaufen linker Schuldkomplexe geopfert wurde, und sie wird nicht das letzte sein.