Erdogan hat sich in Syrien mächtig verzockt. Die USA lassen die Kurden als ihre einzigen verlässlichen Partner im Kampf gegen den IS doch nicht so einfach fallen, und als Erdogan in Moskau um die Schonung seiner Dschihadisten in Idlib ersuchte, wurde er für seine diplomatischen Bemühungen von Putin mit einem Eis abgspeist.
Was hingegen immer funktioniert hat, ist die Erpressung der Europäer mit drohenden neuen Flüchtlingskrisen. So wundert es mich nicht, dass gestern 791 Migranten – wohl kaum ohne Wohlwollen des türkischen Staats – von der Türkei nach Griechenland übersetzen konnten.
Für die Schleusertätigkeiten von 2015 wurde die Türkei von Merkel im Rahmen eines Paktes (der von der Türkei nie eingehalten zu werden brauchte) mit der Türsteherrolle beauftragt und für die Versorgung von Millionen Flüchtlingen (die längst zu uns weitergereist waren) mit vielen Milliarden Euro von der EU zugeschüttet.
Erdogan ist mit seiner Rolle als Türsteher der EU in einer Win-Win-Situation. Solange die Balkanroute halbwegs dicht war (ohne dass es sein Verdienst war), kassierte er Milliarden, weil der Deal scheinbar funktionierte.
Wenn die Flüchtlingswelle wieder losbricht, kann er jedoch sogar noch mehr fordern. Die EU soll dann nicht nur weitere Milliarden für angebliche Flüchtlinge in der Türkei zahlen, sondern auch die Errichtung eines neuen IS in Nord-Syrien finanzieren, der die Kurdengebiete für Erdogan ethnisch säubern soll.
Im Moment ist die Gelegenheit für Erdogans neue Flüchtlingswelle besonders günstig, zumal Österreich und Italien, zwei der in den letzten Jahren entschlossensten Vertreter einer „No Way“-Politik innerhalb der EU ihre Regierungen verloren haben.
Salvini, der für Italiens konsequenten Weg stand, hat sich durch zu gute Umfragen zu einem schweren taktischen Fehler hinreißen lassen. Kurz, dessen historischer Verdienst im April 2016 die Schließung der Balkanroute mit Hilfe der Visegrad-Staaten war, hat den Ibiza-Skandal dazu genützt, seinen Konkurrent Kickl loszuwerden und damit ebenfalls die eigene Regierung gesprengt.
Kurz hat sich jedoch nicht nur unnötig gegen den eigenen Innenminister gestellt, sondern auch Orban im Regen stehen lassen, als die EVP auf ihn losging. Wenn Kurz jetzt nach einem strengen Grenzschutz und Frontex ruft, fragt man sich, mit welchen nationalen und europäischen Verbündeten er seine Politik diesmal umsetzen will. Mit Kickl möchte er ja nicht koalieren. Und in Europa sieht er nicht Orban, sondern Seehofer und Merkel, die wieder 25% bzw. 75% aufnehmen wollen, als seine engsten Verbündeten an.
Gegen das Lager Moria auf Lesbos und die kroatische Grenzpolizei wird seit Jahren von den europäischen Asyl-Agenda-Medien agitiert. Diese neuralgischen Punkte auf der Transit-Route sind wohl leicht zu überwinden, sobald auch Österreich und Italien auslassen. Merkel ist ja sowieso noch die Alte.
Dass Griechenland und Kroatien sich noch lange weiterprügeln lassen, ohne dafür wenigstens Unterstützung von Österreich und Italien zu bekommen, ist kaum zu erwarten, zumal Griechenland und Kroatien ohnehin nur Transitländer sind, die bei einer offenen Balkanroute sogar sämtliche eigene Migranten zunächst auf einen Schlag verlieren würden.
Diese Faktoren tragen zusammen dazu bei, dass der bankrotte Spieler Erdogan noch einmal alles auf eine getürkte Karte setzt. Indem er das Lager von Lesbos überfüllt, erhöht er die Gefahr, dass die Griechen die Migranten ans Festland lassen. Vom Festland sind sie rasch in Bosnien. Lassen die Österreicher die Migranten durch, würde auch Kroatien, deren Polizisten seit Jahren für ihren Grenzschutz medial geprügelt werden, alle einfach durchwinken.
Ist dieser Mechanismus erst einmal wieder in Gang gesetzt, kann Erdogan von Merkels EU wieder alles haben.