Zu ebener Erde und im ersten Untergeschoß

Wie wirklich liebend gern ich Auto fahre, wurde mir – wie könnte es anders sein – wieder einmal mit aller Deutlichkeit beim U-Bahn-Fahren bewusst:

U3, gegen etwa 10.00 Uhr, auf dem Weg zu einer Auto-Präsentation. Weil ich von dort gleich ein Auto mitnehme, reise ich per Öffis an.

Mir gegenüber zwei schmuddelig gekleidete Frauen, jede mit einem Riesen-Plastiksackl mit undefinierbarem und leicht faulig riechendem Papierlinhalt (oder sind es doch die ziemlich schmutzigen und sehr dickwattierten Gilets der beiden?) auf den Knien. Sie unterhalten sich sehr laut und sehr im Dialekt, schon seit ich eingestiegen bin, und ich bin doppelt froh, dass ich „Die Zeit“ mithabe, und zwar nicht die Online-Version via iPad, sondern die analoge Ausgabe.Die misst aufgefaltet beinahe einen Quadratmeter.Perfekt als Sichtschild.Hält auch den Geruch etwas fern. Als Hörschutz funktioniert sie leider nicht, denn ich bekomme jedes geslangte Wort mit, und plötzlich, nennen wir sieFrau A und Frau B, ächzt A: „Heast, do is stickig harin, i kriag ka Luft!“

B: „I moch auf .“ (springt auf und kippt das Fenster).

Eine sanfte Brise weht herein, meine Zeit flattert ein bisserl mit dem rechten oberen Zipfel, angenehm, denke ich, miachtelt’s nicht gar so da drin, als eine weibliche Stimme hinter mir, nennen wir sie Frau C, keppelt: „Wie’s da zieht! Ich bin verkühlt! Machen Sie gefälligst das Fenster zu!“ (steht auf und schließt hörbar das Fenster bei ihrem Sitzplatz)

Nau, denke ich, die hat aber einen Befehlston drauf, das taugt den zwei Grazien mir gegenüber wohl eher nicht, vielmehr riecht’s nach Ärger, und korrekt, als ich mich gerade wieder auf die Netflix-Story in meiner "Zeit" konzentrieren will, plärrt B über meinen Zeitungsquadratmeter hinweg: „Heast, sie kriagt ka Luft, sie hot a Lungenproblem!!“

C (ätzender Tonfall): „Dann müssen’s halt aussteigen.“

A (erbost und bereits fortissimo im Klang): „Wos? Wos hot s’ gsogt? I soi auße????“

B: „Geh, loss’, wir steign eh die nexte aus.“

Uff, denke ich, zum Glück, weil das stinkt schon nach handfestem Streit, als C meckert: „Wenn man sich nicht anpassen kann, darf man halt nicht U-Bahn fahren.“

Hört, hört, denke ich und wer im Glashaus sitzt, sollte bekanntlch nicht mit Steinen werfen, und ich weiß immer noch nicht, was der Netflix-Gründer Reed Hastings von sich gibt, denn diese Alltagsgeschichte ist gar so fesselnd, als A pfaucht: „ Heast!!! Dera Funsn gheat ...“

B unterbricht: „Kumm, wir steign aus.“

A springt daraufhin wuchtig auf, so dass mir meine Zeit-Zeitung unters Kinn weht, hüpft fast auf meine Stiefeln, blickt wutenbrannt über mich, und ich erstarrte fast beim Anblick ihres weitaufgerissenen Mundes, als sie plärrt: „Hob amoi a Lungenproblem, du Trompä, Deppate, wos haaßt, i soi auße!!! Dia gheart a Fotzn obeghaut, dass’d …!!!!!!“

Oh meine Göttinnen, bete ich, lasst es bitte nicht zu einem Kampf im Untergrund kommen, und ich hebe bestimmt meine Zeit vors Gesicht, um der Dame Abstand zu demonstrieren.

Zum Glück zieht B A am Ärmel und aus dem Waggon, während A noch einmal richtig böse in Richtung C hustet – hoffentlich ist ihr Lungenproblem nicht ansteckend, schießt mir durchs Gehirn, weil wenn, hat sie nun einen U-Bbahn-Waggon voll verseucht – und C hinter mir meckert A noch nach: „Also so ein primitives Weib und so was von egoistisch.“

Die weiteren drei Stationen Fahrt verlaufen keiffrei.

Ich schaffe endlich den Vorspann der Netflix-Story.

Als ich aussteige, ist das Fenster des Anstoßes immer noch gekippt.

Ich bin froh, dass ich auf dem Heimweg im Auto sitzen darf.

(leicht modifiziert aus www.autofrau.at; © Foto: Christian Houdek)

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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