Werte Leserinnen und Leser,
wann, wenn nicht heute, ist endlich einmal Optimismus angebracht und sind ein bisschen Pathos und utopische Fantasien erlaubt? Heute ist einfach ein guter Tag. Und davon hatten wir – blickt man auf das Weltgeschehen - 2016 weiß Gott noch nicht viele. Was musste man als aufgeklärter, weltoffener Bürger heuer schon für Rückschläge hinnehmen? Der Vormarsch der Rechtspopulisten, Hetzer und des Wutbürgertums in Europa, weiterhin keine Lösung im Syrien-Konflikt in Sicht, die durch den Verfassungsgerichtshof stattgegebene Wahlanfechtung der FPÖ, die keineswegs ein „Dienst am Rechtsstaat“ war, wie es heute aus dem FPÖ-Lager schallt, sondern nur darauf abzielte, das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber des viel zitierten Establishments zu befeuern, und schließlich die beiden negativen Höhepunkte des Jahres, die beiden Stiche ins Herz der westlichen Demokratien: das Brexit-Votum und die überraschende Wahl Donald Trumps als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Alles Dinge und Ereignisse – vor allem die letzten beiden – die uns Österreicher noch lange beschäftigen und die wir am eigenen Leib spüren werden.
Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber das alles scheint heute mal wie weggewischt vom politischen Radar und rückt in den Hintergrund, wenn ich daran denke, dass Österreich ein Signal, ein deutliches Signal, gegen den grassierenden Rechtspopulismus und EU-Skeptizismus in die Welt hinaussandte . Allen voran, dass viele der Van-der-Bellen-Wähler dessen pro-europäische Einstellung als Hauptmotiv, ihm die Stimme zu geben, anführen, stimmt mich positiv, weil eine Zukunft Österreich ohne Europäische Union schlicht nicht vorstellbar wäre - im Netz der globalen Probleme und Herausforderungen, seien es erstere wie der Nahost-Konflikt, die Unberechenbarkeit von Trumps USA und die zunehmende Kritik an dem System „Demokratie“ oder zweitere wie die Digitalisierung, die Veränderung am Arbeitsmarkt durch eben diese, die Migrationsströme und damit einhergehend die Integration kulturfremder Mitbürgerinnen und Mitbürger. Dass dieses Signal von dem kleinen Österreich, das sich nicht in die Reihe der negativen Ergebnisse der letzten Monate einordnen wollte, ausgeht, lässt mich stolz sein auf meine „Heimat“.
Auch, dass es im Wahlkampf, bei allem Schlamm der hin-und hergeworfen wurde, Alexander Van der Bellen gelang, durch seine Kampagne den Heimatbegriff wieder positiv zu besetzen und der Freiheitlichen Partei das Monopol auf diesen Begriff zu entreißen, die auf ihn vorwiegend Nationalismus und Ausgrenzung projizierte, ist eine Errungenschaft, die mir am heutigen Tag ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Heimat muss nicht immer etwas mit Verschlossenheit und ungesund stark ausgeprägtem Patriotismus zu tun haben. Heimat kann auch bedeuten, schlichtweg stolz auf seine Herkunft zu sein und mit der Kultur und den Werten, die einem in die Wiege gelegt worden sind, ein Leben in einem offenen Europa zu führen. Heimat ist auch mit einem gesunden Maß an Selbstvertrauen verbunden und mit dem Bewusstsein, dass wir in einem wunderschönen demokratischen Land leben, das es nicht so leicht aufs Spiel zu setzten gilt und für das es sich lohnt zu diskutieren, zu argumentieren und einzutreten.
Ich habe eingangs von Pathos gesprochen, der wäre damit untergebracht. Fehlen noch die optimistischen Utopien, also gestattet mir einen kurzen zugegeben etwas unrealistischen Ausblick: Zum ersten Mal seit langer Zeit hat die FPÖ bei einer Wahl den Kürzeren gezogen. Seit der Flüchtlingskrise schien es in Stein gemeißelt, dass die Freiheitlichen bei der nächsten Nationalratswahl die stärkste Partei würden und somit gute Chancen hätten, nach den Perioden rund um 2000 wieder in der Bundesregierung vertreten zu sein. Vielleicht – und das ist die Hoffnung, die ich aus dem heutigen Ergebnis schöpfe – muss die Serie an schockierenden Wahlergebnissen nicht ewig fortgesetzt werden und wir erleben bei den anstehenden „Schicksalswahlen“ 2017 in Frankreich und Deutschland und vielleicht 2018 oder früher in Österreich gar keine Sieger aus dem Lager der Angstmacher und Nationalisten. Was, wenn es in Frankreich einem Macron, Fillon oder Valls gelingt, Marine Le Pen, die mit ihrem Vorhaben „die EU zu zerstören“ wohl endgültig die Welt, wie wir sie kennen, veränderte, abzuwenden und wenn in Deutschland Angela Merkel – die noch immer eine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat – wiedergewählt wird und sie die Zuwächse der AfD geringhalten kann? Beides nicht völlig undenkbar und daran knüpft sich die Hoffnung, dass die beiden dann durch Wahlen gestärkten Nationen - die Motoren der Europäischen Integration - den Brexit tatsächlich als Zeichen begreifen, die EU handlungsfähiger zu machen und enger zusammenzurücken. Wer wenn nicht Deutschland und Frankreich wären prädestiniert dafür, Europa gehörig weiterzuentwickeln und die großen Probleme der Zeit, beispielsweise die Migration mit einem ordentlich koordinierten Entwicklungsplan für Afrika und Möglichkeiten der legalen Einwanderung aus Kriegsgebieten, zu lösen? Die Zukunft Europas muss nicht so düster aussehen, wie wir sie uns ausmalen.
Und als letzter Punkt noch der Blick auf unsere Heimat Österreich. Seit dem Ende der Ära Kreisky hatte Österreich, wenn ich mich recht entsinne, auf Bundesebene stets eine Mehrheit rechts der Mitte. Heute stehen zum ersten Mal seit langem 53% der Österreicher hinter einem Kandidaten, der sich doch relativ deutlich links der Mitte positioniert und haben ihn zum Bundespräsident gewählt. Wer sagt, dass es unmöglich ist, auch bei den nächsten Nationalratswahlen ähnlich viele Wähler auf dieser Seite des politischen Spektrums zu versammeln und aus den Parteien SPÖ, Grüne und NEOS eine Koalition zu bilden, die das Zeug hätte, Österreich endlich wieder Fortschritt zu bringen. Drei Parteien, die sich in vielen Fragen einig sind und beispielsweise die längst überfällige Bildungs- und Verwaltungsreform angehen könnten. Drei Parteien, die sich im Engagement auf europäischer Ebene ähnlich wären und die EU nicht als innenpolitischen Teppich, unter den aller Dreck gekehrt werden kann, ansehen. Drei Parteien, die das Sozialsystem für die Herausforderungen durch die Digitalisierung des Arbeitsmarktes rüsten könnten. Aktuelle Umfragen sehen diese drei insgesamt bei 45-50%, also nicht komplett auszuschließen, dass diese „Koalition des Fortschritts“ – wie ich es kurzerhand mal hochtrabend nenne – 2018 eine denkbare Option ist.
Wie eingangs erwähnt, das sind alles Utopien und Wunschvorstellungen meinerseits, wie die Realität aussieht, wird sich zeigen. Womöglich kommt es auch anders. Aber das ist mir heute egal. Heute bin ich mal einfach nur optimistisch, froh und erleichtert. Ich denke nicht an Trump, Strache, Frauke Petry oder Nigel Farage. Nein, heute gibt es nur unseren neuen Bundespräsidenten Alexander „Sascha“ Van der Bellen.