Wieder einmal zu spät schlafen gegangen. Darum wieder einmal zu spät aufgestanden. Deshalb wieder einmal zu wenig erledigt. Deshalb wieder einmal unzufrieden. Sie kannte diese Spirale. Das war gar nicht gut. Sie blickte aus dem Fenster. Beobachtete das Eichhörnchen am Baum gegenüber. Wie schön! Freiheit! Von Ast zu Ast hüpfend. Sie hatte, trotz der wenigen Zeit, wieder endlos Listen mit To-Do's geschrieben. An jedem Ort, an dem sie saß, fanden sich diese Listen ein. Am Esszimmertisch die eher privaten To-Do's - bestimmt dafür, dass mit den Kids nichts aus dem Ruder lief. Am Schreibtisch die Arbeitslisten - eine Liste für sie selber, eine Liste je Auftragggeber. In den Hosentaschen fanden sich Listen zum Einkaufen wieder. Oder Listen, was aus dem Keller zu holen war. Oder die 'Auto-weg-bringen-und-was-ist-alles-zu-reparieren'-Liste. Listen, Listen, Listen. Sie hatte die Nase voll, gewaltig. Zu viel für einen Menschen. Zu viel für ein Leben, zu viel für einen Tag. Zu viel zu tragen, zu viel auszuhalten. Zu viel, zu viel, zu viel. Wo waren all ihre Sehnsüchte versteckt? Ihre Empfindungen? Ihre Geheimnisse? Wo war SIE geblieben? Immer wieder musste sie an ihre Mutter denken. Auch jetzt. Ihre Mutter hätte sich über das Eichhörnchen sicher gefreut. Ihr hätte sie es auch gleich erzählen können. Aber ihre Mutter lebte nicht mehr. Deshalb sprach sie manchmal noch so mit ihr. Sie versuchte sich an ihre Mutter als Frau zu erinnern. Dafür war damals auch schon wenig Zeit. Zuerst der Krieg, dann die Aufarbeitung, Geld verdienen, ein Kind kriegen. Dann die vielen Jahre der Krebserkrankungen ihrer Mutter. Zum Frausein war da nicht viel Zeit geblieben. Es war also eigentlich nicht verwunderlich, dass sie sich selber früher kaum als Frau empfand. Als Mensch? Ja! Als Frau? Keine Ahnung. Doch vor einigen Jahren hatte sie das Glück gehabt, einen Mann zu treffen, der sie als Frau sah. Und nicht als Mutter. Oder als sonst irgendwas. Als listenschreibendes Monster vielleicht - sie musste lachen. Endlich. Ein Lachen. Das Eichhörnchen war verschwunden. Ebenso die Zeit, die sie nicht mehr hatte. Sie musste los. Geld verdienen. Wenigstens machte die Arbeit Spaß. Das hatte sie sich so gerichtet. Die Arbeit war der Ort der Ruhe. Und ihre persönliche Herausforderung zu gleich. Abseits von all ihren Sorgen, Nöten und Listen.