Bei vielen Patienten mit schwerem COVID-19 vernarbt die Lunge außergewöhnlich stark. Das könnte erklären, warum die Lunge lange funktionsunfähig bleibt.
Bei Patienten mit schwerem COVID-19-Verlauf versagt die Lunge ihren Dienst: Sie ist so schwer geschädigt, dass der Körper nicht mehr genügend Sauerstoff aus der Luft aufnehmen kann. Mediziner sprechen von einem Acute Respiratory Distress Syndrome, kurz ARDS. Nur mit der Gabe von Sauerstoff, einer unterstützenden Beatmung oder sogar dem Einsatz einer künstlichen Lunge – der ECMO – haben Betroffene eine Chance, ein solches akutes Lungenversagen zu überleben. Im Vergleich zu anderen Ursachen für ein Lungenversagen ist die Lungenschädigung bei COVID-19 besonders schwer.
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„Patienten mit schwerem COVID-19 haben oft ein sehr stark ausgeprägtes Lungenversagen“, sagt Prof. Leif Erik Sander von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin, einer der beiden korrespondierenden Leiter der Studie. „Die weitgehende Zerstörung ihrer Lungenstruktur erfordert eine invasive Beatmung oder sogar eine ECMO-Behandlung über längere Zeit und geht leider mit einer sehr hohen Sterblichkeit von etwa 50 Prozent einher.“
Ausgeprägte Vernarbung der Lunge durch gestörte Immunreaktion
Als Grund für die lange Dauer des Lungenversagens hatte das Forschungsteam unter anderem eine spezielle Form des ARDS im Verdacht, bei der das Lungengewebe vernarbt, dadurch verdickt und unelastisch wird. Schon relativ früh in der Pandemie war bei einzelnen Patienten ein solcher als Fibrose bezeichneter Umbau des Gewebes aufgefallen. Die aktuelle Studie bestätigt nun, dass das schwere COVID-19-bedingte Lungenversagen tatsächlich sehr häufig von einer ausgeprägten Vernarbung des Lungengewebes begleitet wird. „Eine fehlgeleitete Reaktion sogenannter Makrophagen, die auch als Fresszellen des Immunsystems bekannt sind, könnte dafür mitverantwortlich sein“, konstatiert Dr. Antoine-Emmanuel Saliba, Arbeitsgruppenleiter am Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg und zweiter korrespondierender Leiter der Studie.
Für die Studie untersuchte das Team die Lungen verstorbener COVID-19-Patienten anhand verschiedener mikroskopischer Aufnahmen. „Bei fast allen Betroffenen haben wir enorme Schäden entdeckt: Die Lungenbläschen waren weitgehend zerstört, die Wände deutlich verdickt. Außerdem fanden wir ausgeprägte Ablagerungen von Kollagen, welches ein Hauptbestandteil von Narbengewebe ist. All dies ist charakteristisch für eine schwere Fibrose“, beschreibt Prof. Peter Boor die Befunde. Er hat die Studie am Institut für Pathologie der Uniklinik RWTH Aachen geleitet. „Diese Beobachtungen weisen darauf hin, dass wir es beim COVID-19-Lungenversagen mit einem sogenannten fibroproliferativen ARDS zu tun haben, also einer besonders schweren Form des Lungenversagens. Das könnte erklären, warum wir die Betroffenen so lange beatmen müssen.“
Makrophagen sammeln sich im Lungengewebe an
Der Grund für dieses Phänomen war zunächst unklar. „Bei COVID-19 entwickelt sich ein Lungenversagen typischerweise erst in der zweiten oder dritten Woche nach Symptombeginn, wenn die Viruslast eigentlich schon wieder sinkt“, erklärt Prof. Sander. „Das weist darauf hin, dass nicht die unkontrollierte Virusvermehrung zum Versagen der Lunge führt, sondern nachgeschaltete Reaktionen, beispielsweise des Immunsystems, eine Rolle spielen.“ Die Wissenschaftler analysierten deshalb die Zusammensetzung und Eigenschaften der Immunzellen in Lungenspülungen und -gewebe schwer erkrankter beziehungsweise verstorbener COVID-19-Patienten. Dazu nutzten sie modernste Methoden der Einzelzellanalyse. Mit ihnen ist es möglich, jede einzelne Zelle im Detail zu betrachten.
Das Team konnte so zeigen, dass sich in der Lunge von COVID-19-Betroffenen, die ein Lungenversagen entwickeln, vor allem Makrophagen in großen Mengen ansammeln. Diese Fresszellen beseitigen zum Beispiel eingedrungene Erreger oder Zellabfall, sind aber auch an der Wundheilung und Reparatur von Gewebe beteiligt. „Überraschenderweise zeigten die Makrophagen bei schwerem COVID-19 ähnliche Eigenschaften wie bei einer chronischen Form der Lungenvernarbung, der idiopathischen Fibrose“, betont Dr. Saliba. Bei dieser unheilbaren Erkrankung vernarbt die Lunge unaufhaltsam bis zum Verlust der Organfunktion. Die Ursache ist unbekannt, unter allen Formen der Lungenfibrose hat sie die schlechteste Prognose. „Die Makrophagen treten bei schwerem COVID-19 mit bestimmten Zellen des Bindegewebes in Kontakt, die für die Bildung von Narbengewebe verantwortlich sind. Diese Zellen vermehren sich stark und produzieren große Mengen Kollagen“, ergänzt der Experte der Einzelzellforschung.
SARS-CoV-2 beeinflusst Fresszellen
In der Zellkultur entdeckten die Wissenschaftler, dass SARS-CoV-2 selbst die Fresszellen so beeinflusst, dass sie den Fibroseprozess möglicherweise befeuern. Dazu isolierten sie Fresszell-Vorläufer aus dem Blut gesunder Menschen und stimulierten sie mit dem Virus. Wie eine Analyse von etwa 7.000 Proteinen zeigte, produzierten die Immunzellen daraufhin verstärkt Botenstoffe, die Vernarbungsprozesse einleiten, ganz ähnlich wie bei einer idiopathischen Lungenfibrose.
„SARS-CoV-2 ist also zumindest ein möglicher Auslöser für die fehlgeleitete Reaktion der Fresszellen“, erklärt Prof. Matthias Selbach. Der Proteomik-Experte hat die Studie am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) geleitet. „Das Virus vermehrt sich dabei anscheinend nicht in den Immunzellen, sondern programmiert sie um. Diesen Effekt konnten wir interessanterweise nicht beobachten, wenn wir die Makrophagen mit einem Grippevirus stimulierten. Das Influenza-Virus vermehrte sich in den Immunzellen stark. Es brachte sie aber nicht dazu, Vernarbungsprozesse zu fördern.“
Parallelen zwischen COVID-19 und chronischer Lungenfibrose
„Unsere Daten zeigen also eindeutig Parallelen zwischen COVID-19 und der chronischen Lungenfibrose auf“, resümiert Dr. Saliba. „Das erklärt vielleicht, warum einige Risikofaktoren für COVID-19 auch Risikofaktoren für die idiopathische Lungenfibrose sind – zum Beispiel Grunderkrankungen, Rauchen, ein männliches Geschlecht und ein Alter über 60 Jahre. Es gibt jedoch einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Erkrankungen: Bei COVID-19 ist die Vernarbung zumindest potenziell reparabel.“ Das konnte das Forschungsteam anhand von CT-Bildern nachvollziehen. Bei COVID-19-Erkrankten, die mit der ECMO behandelt wurden, zeigten die Aufnahmen zunächst typische milchglasartige Trübungen, die sich im Verlauf der Erkrankung verdichteten und vernarbten. Bei Betroffenen, die von der ECMO-Behandlung entwöhnt werden konnten und genasen, gelang es dem Körper, die Verdichtungen allmählich aufzulösen – auch wenn in manchen Fällen deutliche Vernarbungsreste zurückblieben.
Die Wissenschaftler wollen nun genauer untersuchen, welche zellulären Prozesse dazu führen, dass sich eine Fibrose zurückbildet. „Wenn wir die Auflösung von vernarbtem Gewebe besser verstehen, können wir in Zukunft hoffentlich nicht nur COVID-19-Betroffenen, sondern auch Patienten mit bisher unheilbarer Lungenfibrose helfen“, sagt Prof. Sander. „Die wichtige Rolle der Makrophagen für beide Krankheiten legt außerdem nahe, dass eine Hemmung der Zellen dazu beitragen könnte, die Vernarbung zu verhindern.“ An der Charité untersuchen Forschungsgruppen beispielsweise die Wirksamkeit einer Blockade von Rezeptoren, die den Fresszellen den Eintritt in das Lungengewebe ermöglichen.
Dieser Text basiert auf einer gemeinsamen Pressemitteilung der Charité Berlin, des HIRI, des MDC und der Uniklinik RWTH Aachen. Die Studie haben wir euch im Text und hier verlinkt.