Virus erreicht nach wenigen Tagen Herz und Gehirn

Zusammenfassung: - Bei Long Covid ist Virus weiterhin aktiv, selbst wenn der Rachenabstrich negativ ist-

Bethesda/Maryland – Nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 kommt es offenbar häufig zu einer Virämie, die das Virus in zahlreiche Körperregionen einschließlich des Gehirns transportiert. US-Forscher fanden in einer Autopsieserie in vielen Geweben Hinweise auf eine bis zu 230 Tage anhaltende Virusreplikation, die nach der im Preprintserver von Nature (2021; DOI: 10.21203/rs.3.rs-1139035/v1) veröffentlichten Studie jedoch nur selten mit Entzündungen oder anderen histologischen Veränderungen verbunden war.

Eine Infektion mit SARS-CoV-2 kann bekanntlich unterschiedliche Folgen haben. Viele jüngere Menschen erkranken so milde, dass sie die Infektion gar nicht bemerken. Andere sterben innerhalb weniger Tage und Wochen an einem Multiorganversagen.

Eine weitere Gruppe klagt Wochen oder Monate nach der Infektion über anhaltende Symptome, die als PASC („post-acute sequelae of COVID-19“) oder auch Long COVID bezeichnet werden und diagnostisch nur schwer zu fassen sind. Eine anhaltende Replikation des Virus wird vermutet, konnte jedoch bisher nicht belegt werden.

Ein Team um Daniel Chertow vom Clinical Center der US-National Institutes of Health in Bethesda/Maryland konnte bei 44 Patienten, die an oder mit COVID-19 gestorben waren, Autopsien zu einem Zeitpunkt durchführen, an dem die Virus-RNA sich noch nicht zersetzt hatte. Bei allen 44 Verstorbenen wurden Gene von SARS-CoV-2 nachgewiesen, und zwar nicht nur in den Lungen, sondern an 79 bis 85 verschiedenen Orten des Körpers.

Die Zahl der Genkopien pro Nanogramm war zwar in den Atmungsorganen (9.210) am höchsten, aber auch Herz-Kreislauf-Organe (38,75), Lymphknoten (30,01), Magen-Darm-Trakt (24,68), Nieren und Hor­mondrüsen (12,76), Fortpflanzungsorgane (0,36), Muskel-, Fett- und Hautgewebe einschließlich peripherer Nerven (27,50), Augen (57,40) und nicht zuletzt das Gehirn (32,93) waren infiziert.

Bei einigen Patienten wurden sogar mehrere Varianten von SARS-CoV-2 gefunden, die sich durch einzelne Mutationen unterschieden, was ein indirekter Hinweis darauf ist, dass sich die Viren (mit Fehlern) repliziert hatten.

Die Viruskonzentration ging im Verlauf der Infektion zurück. Die Gene wurden jedoch auch bei asymptomatischen Patienten gefunden sowie bei Personen, deren Infektion bis zu 230 Tage zurücklag. Mittels in-situ-Hybridisierung konnten die Virusgene auch innerhalb der einzelnen Zellen nachgewiesen werden. Im Herz waren Herzmuskelzellen, Endothel, Gefäßwände und Zellen des Perikards infiziert.

In den Nieren waren Zellen von Bowman-Kapsel und Glomerulus-Endothel infiziert, im Hoden Leydig- und Sertolizellen, im Uterus die Muskelzellen und das Endometrium von SARS-CoV-2 infiziert. Im Gehirn wurden die Virusgene in Nervenzellen, Gliagewebe und in den Ependymzellen der Ventrikel gefunden.

Die genetischen Virusnachweise stehen im Gegensatz zu den histologischen Befunden. Diese waren – auch bei den Patienten, die an COVID-19 gestorben waren – weitgehend auf die Lungen beschränkt. Dort kommt es in den ersten Wochen zu einer exudativen Entzündung, die später von einer zunehmenden Fibrose abgelöst wird (die nach anderen Untersuchungen das Versagen von maschineller Beatmung und ECMO erklären könnte). Bei einem Viertel der Patienten wurden thromboembolische Komplikationen gefunden (die den Gasaustausch in den Lungen weiter verschlechtert haben dürften).

Bei 4 Patienten wurden entzündliche Infiltrate in den Herzmuskelzellen gefunden, bei einem von ihnen lag laut Chertow eine signifikante Myokarditis vor. In den Lymphknoten zeigte ein Mangel an Lymphozyten bei einer follikulären und parakortikalen Hyperplasie eine Beteiligung des Immunsystems an.

Die Veränderungen außerhalb der Lungen ließen sich jedoch häufig nicht eindeutig COVID-19 zuordnen, da viele Patienten Vorerkrankungen hatten, die ebenfalls Spuren in den Organen hinterlassen. Im Gehirn wurden trotz der Viruslast nur geringe Veränderungen gefunden. Ob sie ein PASC erklären können, bleibt deshalb fraglich.

Die Diskrepanz zwischen Virusnachweis und fehlenden histologischen Veränderungen wirft natürlich die Frage auf, ob es sich um Artefakte handeln könnte. So lässt sich bei einer Autopsie nicht verhindern, dass Blut- und Gewebeflüssigkeiten in die einzelnen Organe eindringen. Die meisten Patienten hatten jedoch zum Zeitpunkt des Todes keine Virus-RNA im Plasma. Auch der Nachweis der Virus-RNA innerhalb von einzelnen Zellen spricht eher gegen eine Verbreitung während der Autopsie. Ganz ausschließen lässt sich dies aber wohl nicht.

Chertow schließt aufgrund seiner Beobachtungen, dass es bereits in der Frühphase einer Infektion mit SARS-CoV-2 zu einer Virämie kommt, die das Virus im gesamten Körper verteilt. Warum die Virusinfektion – sie wurde durch den Nachweis von subgenomischer RNA belegt, die nur bei der Replikation auftritt – in den meisten Organen folgenlos bleibt, ist rätselhaft.

Abstract der Studie in Nature

https://www.researchsquare.com/article/rs-1139035/v1

© rme/aerzteblatt.de

Quelle: https://www.aerzteblatt.de/.../COVID-19-Virus-erreicht...

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