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Hans Rosenthal wurde später der beliebteste bundesdeutsche Quizmaster der Nachkriegszeit und der Erfolgreichste.
Die von ihm entwickelte, produzierte und moderierte Mischung aus Spielshow und Quiz (beides auf Zeit) mit dem Titel „Dalli Dalli“ (die Wendung stammt aus dem Polnischen), bieder, aber sehr kreativ und geschmackvoll, war zwischen 1971 und 1986 ein absoluter Straßenfeger in Deutschland.
Bundestagsdebatten wurden verschoben, wenn sie in die Sendezeit gefallen wären.
Nachts wachte er oft schweißgebadet aus Alpträumen auf, in denen er sich wieder in jener Gartenlaube wähnte, in der er sich jahrelang hatte verstecken müssen, heimlich versorgt von einer Berliner Kioskbesitzerin und wenigen Eingeweihten; wieder die Schritte zu hören glaubte, als die SS-Männer, nach einem Geheimtipp in den versteckten Raum vordrangen, in dem er, fast ohne Tageslicht lebte, sich auf die Pritsche setzten, unter der er, zitternd und irr vor Angst lag und nicht wagte zu atmen…..
Wenn er Nächtens so hochfuhr, dann, so berichteten seine Kinder, nutzte er die folgende Schlaflosigkeit um neue Ideen für „Dalli Dalli“ zu finden und auf einem Schreibblock zu notieren, der immer griffbereit auf seinem Nachttisch lag, und Spiele zu erfinden für ein Publikum, das ihn 30 Jahre früher am liebsten tot gesehen hätte.
Jetzt, als „Hänschen“ Rosenthal verehrte es ihn.
Am 9. 11. 1978, als sich die Reichspogromnacht zum 40igsten Mal jährte, stellte Rosenthal, mit Blick in den ZDF Programmablauf, mit Entsetzen fest, dass ausgerechnet an diesem Tag die 75. Ausgabe von „Dalli Dalli“ angesetzt war – wie immer live.
Rosenthal hielt es für völlig unvorstellbar, dass er als Jude, Vorstandsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland, am 40. Jahrestag der Pogromnacht das Publikum bespaßen sollte, als sei nichts gewesen.
Zumal der Jahrestag zum ersten Mal in der Medienöffentlichkeit mit Gedenkfeiern begangen werden sollte. Der Bundespräsident würde im Fernsehen sprechen, TV-Diskussionen waren angesetzt.
Versehentlich hatte er den Termin im Block bestätigt ohne genauer auf das Datum zu achten.
„Dalli Dalli“ lief Donnerstags. Der 9. November 1978 war ein Donnerstag.
Er bat die Programmdirektion um Verschiebung.
Das ZDF lehnte ab, beschied seinem Starmoderator das sei nicht mehr möglich, schlimmer noch man attestierte ihm – dem Holocaustüberlebenden – er sei „zu empfindlich“.
Da Rosenthal vertraglich verpflichtet ist, fügt er sich und moderiert am 9.11.1978 um 19.30 wie jede Woche „Dalli Dalli“, die Gäste sind: Peter Nidetzky, Judy Winter, Ulrike von Möllendorff, Karla Wege, Elmar Gunsch, Rolf Stommele und Harald Ertl. Aber Rosenthal nimmt Änderungen vor, Modifikationen.
Zum ersten und einzigen Mal moderiert er die Show im schwarzen Anzug, wie ein Trauergast bei einer Beisetzung, er ersetzt die Musikeinlagen der Show, statt schwungvollen Schlagern gibt es nur getragene Opernmusik, und am Ende der Sendung nennt er explizit das Datum der Ausstrahlung.
Zum ersten und einzigen Mal in 153 Sendungen und 15 Jahren:
Die Geschmacklosigkeit des ZDF geht dessen ungeachtet weiter, denn direkt nach der harmlosen Spielshow „Dalli Dalli“ zeigt man die poetische Dokumentation „Nacht und Nebel“ von Alain Resnais, mit Originalaufnahmen aus den KZ’s.
Einige Kinder die zuvor „Dalli Dalli“ gesehen hatten, sitzen noch vor dem Fernseher und erleiden den Schock ihres Lebens.
Kurz nach diesem, für Rosenthal sicher in jeder Hinsicht qualvollen Abend, beginnt er die Arbeit an seiner Autobiographie „Zwei Leben in Deutschland“ die 1980 erscheinen wird, und in der er seine Identität als deutscher Jude unübersehbar in den Mittelpunkt rückt.