Italien im Mai. Diesmal waren wir mit einem geleasten Wohnmobil unterwegs. 10 Tage Bella Italia, am Brenner beginnend, über Brixen, Bozen, die Dolomiten, den Ledro- und den Gardasee nach Mantua und schließlich an die Adria ins zauberhafte Comacchio.
Italien erweckt starke Gefühle – angefangen von den Kindheitserinnerungen, als man, in einen VW-Käfer gequetscht, erstmals ans Meer fuhr – über zahlreiche Erlebnisse, Augenblicke, Gerüche, Kunstwerke, Jahrhundert-Architektur, Farben und Sonnenbrände, in Jahrzehnten gesammelt.
Das Großgefährt erwies sich als nicht unbedingt praktisch auf Südtiroler Bergstraßen und hatte zur Folge, dass wir, auf einem 1-a gepflegten und ausgestatteten Campingplatz in Bozen gelandet, mit dem Bus ins Zentrum der Stadt fuhren.
Der Busbahnhof und der angrenzende Park sahen aus wie ein von der Politikern seit langem geforderter afrikanischer „Hotspot“. In Designerschuhen und mit ebensolcher Kleidung ausgestattet, besetzten Dutzende Männer mit dunkler Hautfarbe die Bänke und den gesamten öffentlichen Raum. Ein mit vier Carabinieri besetztes Polizeiauto stand in Sichtweite geparkt – ganz offensichtlich wurde im Park gedealt, nicht anders, als in der Wiener U-Bahn-Station Karlsplatz oder im Berliner Görlitzerpark.
Wir schlenderten ins Zentrum der Stadt. Das Wetter war schön, nicht zu heiß und sonnig, sodass wir auf der Terrasse eines Restaurants Platz nahmen. Gutes Essen, gute Laune, ein Glas Wein. Als die freundliche Kellnerin die Rechnung brachte, sagte ich sinngemäß, wie schön es hier und heute doch sei.
„Schön?“ fragte sie ungläubig, „Hier ist nichts mehr schön! Das ist kein Leben mehr!“
Wir waren erschrocken. Sie sei gebürtige Tschechin, sagte sie, seit 18 Jahren mit einem Italiener verheiratet. „Ich liebe und schätze dieses Land! Die Kultur, die wunderschönen Bauten! Aber es geht alles vor die Hunde!“
Nun, meinten wir, wir hätten am Busbahnhof sehr viele afrikanische Migranten gesehen, ob sie von ihnen spräche?
Die Miene der Frau zeigte eine Mischung aus Wut und Verzweiflung. „Mein Mann ist bei den Carabinieri. Sie können sich nicht vorstellen, was er jeden Tag erlebt. Drogen, Gewalt, Unmenschlichkeit. Unsere Kinder haben hier keine Zukunft! Mein Mann lernt tschechisch und wir überlegen, wann wir nach Tschechien ziehen können!“
Ich war völlig überrascht, an einem schönen Urlaubstag in Bozen in ein so tiefgehendes, offenes und erschütterndes Gespräch (das im Original übrigens in englisch geführt wurde) geraten zu sein. Wir verabschiedeten uns mit vielen guten Wünschen und trabten zurück zum Busbahnhof. Dort warteten wir in trostloser Atmosphäre gute 20 Minuten auf den Bus, der uns zurück zum Campingplatz brachte.
Zuletzt aber gab es ein herzerfrischendes Erlebnis. Eine alte Frau hatte uns deutsch sprechen gehört. Sie zog ein handgeschriebenes Blatt Papier aus der Tasche und fragte uns nach mehreren Begriffen, die sie für ihr Kreuzworträtsel benötigte. „Tier, das Besucher anspuckt“, war einer davon. Das war simpel! Wir konnten auch die restlichen Fragen beantworten, sie notierte fröhlich die Worte und wir fuhren mit der angenehmen Vorstellung zurück, dass wir der alten Dame zu einem nicht einholbaren Wettbewerbsvorteil im Kreuzworträtselmatch mit ihren Freundinnen verholfen hatten.
kbk