Samuel Eckert veröffentlicht auf YouTube ein Video, das beweisen soll, dass die offiziellen Todeszahlen falsch interpretiert werden und es in Wirklichkeit 2020 in Österreich gar keine so hohe Übersterblichkeit gab, wie allgemein angenommen wird. Was ist davon zu halten?
Vor ein paar Tagen bin ich auf ein Video von Samuel Eckert gestoßen, in dem er erklärt, warum die zur Zeit oft kommunizierte Übersterblichkeit 2020 in Österreich auf einer falschen Berechnung beruht. Die reine Betrachtung der absoluten Zahlen sei falsch, man müsse die Entwicklung hin zu einer älteren Bevölkerung berücksichtigen.
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Er verwendet dafür das anscheinend von ihm selbst so benannte Konzept eines "Gesamtäquivalents", eine Art gewichtete Sterberate, eine einfachere Form einer altersstandardisierten Sterberate. Das scheint statistisch durchaus eine vernünftige Herangehensweise zu sein und leichter zu berechnen als die vollständige altersstandardisierte Sterberate. Eine Erklärung zur Berechnung des Gesamtäquivalents findet sich in einem Video auf seinem YouTube-Channel (https://www.youtube.com/watch?v=kUMC-8m6tkg). Dort findet man auch entsprechende Videos zu einigen anderen Ländern. Hier soll es aber nur um das Österreich-Video gehen.
Obwohl nach absoluten Zahlen 2020 in Österreich das schlimmste Jahr der letzten 9 Jahre war, kommt also Samuel Eckert in seinem Video zum Ergebnis, dass, wenn man das Gesamtäquivalent statt der absoluten Zahlen benutzt und damit die Überalterung der Bevölkerung herausrechnet, 2020 "nur" das drittschlimmste Jahr seit 2012 war.
Sehen wir uns seine Zahlen und Aussagen in diesem Video genauer an.
Fehlende Zahlen
Das Erste, das auffällt, ist, dass er die Sterbezahlen bis Ende 2020 verwendet. Diese Sterbezahlen kann man bei Statistik Austria hier abrufen: https://data.statistik.gv.at/web/meta.jsp?dataset=OGD_gest_kalwo_alter_GEST_KALWOCHE_5J_100
Interessant ist, dass in diesem schönen CSV-File mit über 235000 Zeilen, das man von dort herunterladen kann, die Zahlen der letzten, der 53., Kalenderwoche 2020 erst am 28.1.2021 hinzugefügt wurden. Das oben verlinkte Video wurde aber bereits am 22.1., also fast eine Woche früher, veröffentlicht.
Ich habe mir die Zahlen angesehen, und tatsächlich: Er hat nur 52 Kalenderwochen von 2020 mit den jeweils ganzen Jahren der Vorjahre verglichen! Das sind zwar nur 4 Tage Unterschied, aber die letzte Dezemberwoche hat durch die immer noch andauernde zweite Welle überdurchschnittlich viele Tote gefordert. Inzwischen sind die Zahlen der 53. Woche verfügbar und man kann nachprüfen, dass in dieser Woche in Österreich 1997 Sterbefälle dazugekommen sind (Stand 29.1.), die in der Berechnung von Samuel Eckert fehlen. Das sind über 2% der Gesamtzahl!
Es werden auch noch später Fälle nachträglich in die Statistik aufgenommen werden, das werden aber nicht mehr so viele sein, diese werden sich daher auch nicht massiv auswirken. Wenn, dann aber nur nach oben.
Man muss aber gerechterweise festhalten, dass Samuel Eckert in seinen Videos auf die Tatsache hinweist, dass die Daten für 2020 jetzt noch nicht endgültig sind und verspricht, aktualisierte Videos nachzuliefern, sobald neue Daten verfügbar sind. In anderen Videos werden auch fehlende Wochen am Jahresende extrapoliert, für Österreich hat er das anscheinend übersehen.
Falsche Zahlen
Weiter zu den Bevölkerungszahlen. Auch diese kann man von Statistik Austria bekommen, und zwar hier für die Jahre von 1982 bis 2020: https://statcube.at/statistik.at/ext/statcube/jsf/dataCatalogueExplorer.xhtml.
Samuel Eckert verwendet in seinem Video genau diese Zahlen. Es fällt aber auf, dass bei seinen Grafiken zur Bevölkerungsentwicklung der Zeitraum von 2011 bis 2019 betrachtet wurde, bei seiner Sterbezahlen-Berechnung aber 2012 bis 2020 angegeben wird. Wenn man die Zahlen vergleicht, erkennt man, dass er bei seiner großen Berechnung tatsächlich jeweils die Zahlen des Vorjahres verwendet hat! Also zum Beispiel für das Jahr 2020 den Bevölkerungsstand vom 1.1.2019. Zum Ende der jeweiligen Jahre wird also mit fast 2 Jahre alten Daten gerechnet!
Ist das ein Versehen oder Absicht? Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Daten zum Zeitpunkt der Erstellung des Videos auch nicht vorhanden waren. Immerhin sind es die Bevölkerungszahlen vom 1.1.2020, die sollten schon seit einiger Zeit verfügbar sein?
Wie auch immer, auf jeden Fall wäre das meiner Meinung nach eine gesonderte Erwähnung im Video wert gewesen. Ein kleiner Hinweis mit einem Sternchen unter den Grafiken ist bei einer derartigen Vorgehensweise bei einer Analyse, bei der es gerade um die Bevölkerungsentwicklung geht, etwas dürftig.
Update 1.2.2021: Inzwischen habe ich die Bevölkerungsdaten der europäischen Länder auf Eurostat gefunden, die Samuel Eckert benutzt. Dort stehen die Zahlen aller Länder tatsächlich nur bis 2019 zur Verfügung. Die Verschiebung aller Zahlen um 1 Jahr, nur weil die Daten für das letzte Jahr nicht zur Verfügung stehen, wie Samuel Eckert es macht, finde ich fragwürdig. Besser wäre es vermutlich, die richtigen Daten für die Jahre zu verwenden, für die sie zu Verfügung stehen, und nur für 2020 die Daten von 2019. Oder für 2020 geschätzte (extrapolierte) Daten.
Berechnung mit den richtigen Zahlen
Letzendlich habe ich mir auf Grund dieser Fehler die Arbeit angetan und die Berechnungen, so wie sie im Video zu sehen ist, in einer Tabellenkalkulation mit den richtigen Zahlen nachgerechnet. Und siehe da, verwendet man die vollständigen Sterbezahlen von 2020 und die richtigen Bevölkerungsdaten wird das Jahr 2020 auch in dieser Betrachtungsweise zum schlimmsten Jahr der letzten 9 Jahre!
Man sieht deutlich, dass auch im Ganzjahresvergleich nach immer besser werdenden Jahren das Jahr 2020 vor allem für den älteren Teil der Bevölkerung kein gutes Jahr war:
Beobachtungszeitraum ganzjährig
Die Prozentzahlen geben den Anteil der Menschen an, die in dem entsprechenden Jahr in dieser Altersgruppe verstorben sind. Rot markiert ist für jede Altersgruppe der schlechteste Wert der letzten 9 Jahre, grün der beste. Am rechten Rand ist die Differenz des Jahres 2020 zum Durchschnitt der Jahre 2012 bis 2019 angegeben.
Am unteren Rand sieht man die Rangfolge der Jahre in Bezug auf das Gesamtäquivalent, also der Todeszahlen mit Berücksichtigung der Bevölkerungsentwicklung. Die grüne 9 heißt, dass das Jahr 2019 das beste Jahr der Jahre 2012 bis 2020 war, die rote 1 zeigt 2020 als das schlechteste Jahr dieser Periode.
Auf das beste Jahr der letzten 9 Jahre folgte also mit 2020 das schlechteste Jahr. Und das, obwohl die hohen Todeszahlen erst am Ende des Jahres auftraten und das erste Quartal ein besonders gutes bezogen auf die Todeszahlen war.
Betrachtung des 4. Quartals
Reduziert man den Beobachtungszeitraum auf jeweils das letzte Quartal des Jahres, sieht man die außergewöhnliche Entwicklung der Zahlen im 4. Quartal 2020:
Beobachtungszeitraum 4. Quartal des jeweiligen Jahres (KW 40 - 53)
In den letzten Jahren wurden die Sterbezahlen immer besser, 2017 bis 2019 brachten die besten 4. Quartale der letzten 9 Jahre. Das 4. Quartal 2020 ist dann aber das bei weitem schlimmste 4. Quartal der letzten 9 Jahre mit einer deutlich überdurchschnittlichen Sterberate in fast allen Altersgruppen.
Fazit
Wie gesagt, das ist die Berechnungsweise, wie sie Samuel Eckert in mehreren Videos verwendet, um für einige Länder zu zeigen, dass das Jahr 2020 nicht das schlimmste der letzten Jahre war.
Für Österreich hat er sich aber verrechnet, verwendet man die richtigen Zahlen war es das schlimmste Jahr seit 2012.
Ich habe mir nur das Österreich-Video genauer angesehen, aber wer weiß, ob er auch bei anderen Ländern so schlampig arbeitet?
Auch das krampfhafte Festhalten an einer Ganzjahresstatistik ist irreführend. Es behauptet ja niemand, dass es das ganze Jahr über mehr Todesfälle gegeben hätte, als jemals zuvor. Aber das 4. Quartal 2020, also die 2. Corona-Welle in Österreich, war ein in dieser Hinsicht herausragendes des letzten Jahrzehnts. Das zu widerlegen zu versuchen, indem man sagt, das Gesamtjahr war ja nicht das schlimmste seit 2012, deshalb können ja auch die Corona-Sterbezahlen nicht so schlimm sein, ist eine Irreführung. Und zwar eine absichtliche, wenn man sich andere Aussagen und Tätigkeiten von Samuel Eckert ansieht.
Auch im Österreich-Video merkt man, dass er es mit der Logik abseits der Mathematik nicht so ernst nimmt. Ab Minute 9:15 sagt er zum Beispiel: "Wenn wir diese [niedrigen] Zahlen betrachten, werden all die Maßnahmen [...] ad absurdum geführt".
Die niedrigen Zahlen von 2020 sollen also zeigen, dass die Maßnahmen nicht notwendig waren? Könnte es nicht eher umgekehrt sein, dass die Maßnahmen vielleicht diese niedrigen Zahlen erst ermöglicht haben? Das ist doch das gleiche, wie wenn jemand sein Haus, bevor Hochwasser kommt, mit Sandsäcken schützt und dann danach, wenn kein Wasser ins Haus gekommen ist, sagt, dass die Sandsäcke unnütz waren!
Alles in allem scheint die mathematische Vorgangsweise von Samuel Eckert sinnvoll und korrekt zu sein. Allerdings führen auch korrekte Rechnungswege mit falschen Zahlen zu falschen Ergebnissen. Sein Video zu den Sterbezahlen in Österreich ist keine gute Referenz für ihn.
Warten wir ab, ob er wie versprochen eine neue Version mit aktualisierten Daten online stellt, auch wenn seine Berechnungen ergeben, dass 2020 doch das schlechteste Jahr seit langem war.