Auch diese Woche wurde das Börsegeschehen von einem Thema dominiert: Griechenland. Die Hintergründe kennt mittlerweile jeder, der die letzten Wochen nicht in einer Höhle oder unter einem Stein verbracht hat, daher wäre es müßig, sie an dieser Stelle zu wiederholen. Was jedoch verwunderlich ist, ist dass nicht nur die sensationssüchtigen Medien den oft zitierten „Grexit“ fordern, sondern derselbe Ruf auch aus Teilen der (vor allem zentraleuropäischen) Bevölkerung  kommt und sogar „Ökonomen“ auf den Zug aufspringen. Rekapitulieren wir nochmals die möglichen Szenarien: Möglichkeit eins: die Vogel Strauß Methode, oder anders ausgedrückt: eine Verschiebung der Lösung auf einen späteren Zeitpunkt, bspw. Ende des Jahres. Dies wurde in den letzten Monaten zwar erfolgreich eingesetzt, dürfte jedoch mittlerweile an Grenzen stoßen, da die griechischen Banken zunehmend Einlagen verlieren, unter anderem von staatlichen Institutionen (die immerhin 10-30 % der Einlagen der größten griechischen Banken darstellen).Möglichkeit zwei: Apocalypse now, besser bekannt als „Grexit“ oder Zahlungsunfähigkeit Griechenlands. In manchen Medien wurde argumentiert, dass eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands nicht notwendigerweise einen Austritt aus der Eurozone nach sich ziehen würde. Das stimmt zwar grundsätzlich, jedoch wäre der Effekt derselbe: das Bankensystem in unserem beliebten Urlaubsland würde sofort zusammenbrechen. Der Grund dafür: ein Großteil des Eigenkapitals der Hellas-Banken setzt sich aus Steuerforderungen gegen den Staat zusammen (an sich ja schon eine ziemlich seltsame Situation). Sollten diese aufgrund einer Zahlungsunfähigkeit des Staates nicht mehr anrechenbar sein, würden die Banken nach der derzeitigen Rechtslage innerhalb kürzester Zeit insolvent sein, womit ihnen auch der Zugang zu den Notkrediten der Notenbank, mit denen sie derzeit die Abflüsse der Kundeneinlagen ausgleichen, verwehrt wäre. Wichtiger Punkt dabei ist jedoch die Formulierung „nach der derzeitigen Rechtslage“, immerhin könnte die EZB hier noch eingreifen und das Bankensystem durch außerordentliche Maßnahmen stützen. Denn ein Armenhaus im Süden Europas würde, abgesehen von dem vermeidbaren menschlichen Leid, sehr viel Sprengstoff bieten. Dagegen sähe die aktuelle Flüchtlingsdebatte wie ein Kaffeetratsch unter Freunden aus…Bleibt eigentlich nur Möglichkeit drei: die Win-Win Situation, der Kompromiss. Angesichts der Alternativen muss jedem rational denkenden Menschen klar sein, dass dies die einzig gangbare Alternative ist. Uns muss jedoch auch klar sein, dass die Restrukturierung der Wirtschaft Zeit benötigt. Hier ist die Berichterstattung bei uns leider sehr einseitig: wir hören nur von den faulen Griechen, die sich alles mit Korruption richten, von unseren Steuergeldern leben und dann fette Pensionen kassieren. Auf der anderen Seite herrscht in weiten Teilen der Bevölkerung jedoch bittere Armut, in den Städten können sich die Menschen ihre Mieten nicht mehr leisten und im Winter wird das Heizgeld knapp.

Dementsprechend würde eine Reduktion der Schulden (Haircut) wohl nur einige Symptome behandeln und wir hätten dieselbe Debatte in 1-2 Jahren wieder. Hoffentlich nicht zu einer Zeit, wenn gerade in wichtigen europäischen Ländern Wahlen anstehen, weil dieses Thema nur allzu gerne zur Polarisierung verwendet wird…Es müsste daher neben langfristigen strukturellen Reformen (das Entgegenkommen der Griechen) auch ein Entgegenkommen der Schuldner geben: eine Streckung der ersten Rückzahlung auf lange Sicht, bspw. 15, 20 Jahre. Dadurch hätte das Land genügend Zeit, die Reformen in Ruhe umzusetzen, die Sparer könnten ihre Einlagen wieder aus der Matratze holen (82 % der Abhebungen bei unseren südlichen Freunden seit Jahresbeginn erfolgten in bar!) und wir alle könnten dieses Thema wieder vergessen. Derzeit scheitert es jedoch eher an den „Spieltheoretikern“ auf beiden Seiten. Bei uns würde man wohl eher Sturschädeln dazu sagen…Der befürchtete Kollateralschaden hielt sich außerhalb Europas diese Woche jedoch in Grenzen, der amerikanische S&P 500 konnte 0,6 % zulegen, die Technologiebörse NASDAQ konnte mit +1 % sogar ein neues Allzeithoch erklimmen. Neben diversen Firmenübernahmen profitierte der Markt auch von der Tatsache, dass die US-Notenbank andeutete, weiterhin an ihrer lockeren Geldpolitik festhalten zu wollen, auch wenn die erste kleine Zinserhöhung bereits in diesem Jahr erfolgen dürfte.Was kann man als kleiner Fisch tun, der von diesen großen Strömungen mitgerissen wird? Die erste Variante wird von vielen Investoren verfolgt: abwarten, viel Cash halten und nichts tun, bis der ganze Spuk vorbei ist. Grundsätzlich eine sehr vernünftige Einstellung und sicherlich für Großanleger, die sich nicht in die Niederungen von Einzelaktien begeben eine gangbare Möglichkeit. Für die meisten wird es aber deutlich sinnvoller sein, sich eine Einkaufsliste zusammenzustellen, von Firmen, die von der ganzen Griechenland-Thematik unbeeindruckt sind und trotzdem an der Börse bestraft wurden. Außer natürlich man geht davon aus, dass die Post aufgrund einer Hellas-Pleite weniger Pakete in Österreich verschifft…

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Silvia Jelincic

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