Nach der sommerlichen Entspannung weht den Investoren im Herbst ein etwas rauerer Wind entgegen. Auch wenn sich die Gesamtbewegungen an den Märkten in Grenzen halten, zeichnet sich bei näherer Betrachtung ein anderes Bild: Gesamte Sektoren wie Banken oder Rohstoffwerte werden an einem Tag gekauft, nur um am nächsten Tag zu korrigieren. Oder, um es mit den Worten eines Literaturnobelpreisträgers zu sagen: “The first one now will later be last“.
Unter den Hauptschuldigen für diese Situation sind unter anderem die Notenbanken. Widersprüchliche Aussagen von diversen Fed-Oberhäuptern sorgen für Volatilität im US-Bankensektor, dem größten Profiteur einer etwaigen Zinserhöhung. Hinzu kam der Cross-Selling Skandal der (nach Marktkapitalisierung) größten und oft bewunderten Bank Wells Fargo, der diese Woche den Job des langjährigen CEOs gefordert hat und schon waren die Banken, einer der stärksten Sektoren in den letzten Wochen, ausgeknockt.
Dabei könnten sich die Firmen auf beiden Seiten des Ozeans eigentlich freuen, denn die Zinsmärkte haben in den letzten Wochen zunehmend für sie gearbeitet. Zehnjährige US-Staatsanleihen zahlen mittlerweile beinahe 1,8% nach einem Tiefstand von unter 1,4% im Sommer und auch in Deutschland kann man hier wieder Geld verdienen (wenn man eine Rendite von 0,05% als „Geld verdienen“ bezeichnet). Während in den USA die anstehende Zinserhöhung der Auslöser sein dürfte, lässt sich der Anstieg in Europa möglicherweise durch Spekulationen über ein Ende des EZB-Anleihenkaufprogramms (das nach heutigem Stand im März 2017 auslaufen soll) erklären, ausgelöst durch einen Zeitungsartikel über „Diskussionen in der EZB“. Dieser eine Artikel hat damit den Effekt von Milliarden an Anleihenkäufen durch die EZB seit Sommer egalisiert. Anscheinend ist die Fühlfeder doch mächtiger als das Schwert, oder zumindest als die Gelddruckpresse…
Ein weiterer Sektor, der sich in den letzten Wochen gut entwickeln konnte waren die zyklischen Industrieunternehmen: Steigende Rohstoffpreise bei Stahl, Kupfer und nicht zuletzt Öl wurden als ein Zeichen höherer Nachfrage aus China interpretiert, dem wichtigsten Absatzmarkt für beinahe alles. Dementsprechend wurden neben den Rohstofftiteln auch andere Zykliker gesucht, von Autowerten über Baggerhersteller bis hin zur Luftfahrtindustrie! Beinahe jedes Unternehmen, das von einem Wirtschaftsaufschwung profitierte wurde gekauft, mit geringer Differenzierung, ob diese Theorien auch durch die Fakten der einzelnen Firmen bestätigt werden. Teilweise ist dies auch durchaus der Fall: Der Kranhersteller Caterpillar meldet seit Monaten Verbesserungen im Auftragseingang und auch die Automobilfirmen geben sich bei diversen Investorenkonferenzen optimistisch was die Zukunft betrifft (auch wenn die Zeiten von über 7% Wachstum im Autoabsatz in Europa wahrscheinlich nicht ewig anhalten werden)…
In einigen Fällen passt die Realität jedoch nicht zur Theorie, beispielsweise im Flugzeugbau. Bereits seit Monaten war bekannt, dass es bei einigen neuen Flugzeugen Probleme mit den neuen Motoren geben soll. Eine neue Technologie sollte ursprünglich zu Spriteinsparungen führen und damit ein gutes Kaufargument für Fluglinien liefern. Wie bei solchen Veränderungen jedoch nicht unüblich gibt es technische Probleme, die in weiterer Folge zu Staus in der gesamten Lieferkette führen.
Gleich zwei Mal wurden die Investoren in dieser Woche daran erinnert: Zuerst durch eine Gewinnwarnung von Honeywell (die unter anderem für die Elektronik in vielen Flugzeugen zuständig sind) und in weiterer Folge durch Alcoa, den US-Aluminiumproduzenten, der die Berichtsaison gleich mal mit einem kleinen Bauchfleck eröffnete, unter anderem aufgrund der Schwäche im Luftfahrtbereich.
Alcoa wird oftmals als Gradmesser gesehen, nicht nur weil die Firma traditionellerweise als eines der ersten Unternehmen ihre Zahlen vorlegt, sondern vor allem aufgrund der breiten Einsatzgebiete ihrer Produkte: Platten für Flugzeugrümpfe, Teile für Autos, Querstreben für den Bausektor, Getränkedosen etc. Bei näherer Betrachtung der Ergebnisse fällt auf: Zwar deutet die Firma auf Schwäche in einigen Bereichen hin (neben der Luftfahrt läuft es auch bei großen Trucks nicht nach Wunsch), insgesamt zeichnet das Unternehmen jedoch ein recht positives Bild. Vor allem in China ist das Unternehmen deutlich optimistischer als noch vor ein paar Monaten, was auch ganz gut zur oben erwähnten Stärke von Caterpillar passt.
Dieser etwas positivere Ton ging jedoch in der Berichterstattung komplett unter, unter anderem da die Aktie nach der Veröffentlichung der Zahlen um über 10% einbrach und wer sucht da schon nach erfreulichen Details? Gerade diese Nuggets machen jedoch die Berichtssaison zu einem wahren Feuerwerk an Möglichkeiten. Geht es der Firma gut, weil ihre neuen Produkte gut ankommen, wie das Management behauptet, oder profitiert sie von einem kurzfristigen Aufschwung in ihrer Industrie? Steht die Firma vor temporären Problemen oder handelt es sich um langwierige Nachfrageverschiebungen? Dafür braucht es jedoch etwas Fingerspitzengefühl und auch etwas Geduld und den Willen, sich die Daten der Unternehmen auch im Detail zu Gemüte zu führen. Ganz nach dem Motto: „And don‘t criticize what you can’t understand“