Die vergangene Handelswoche verlief gemischt. Normalerweise ist dies ja „Journalistensprache“ für einen Markt, der von einem Tiefststand zum nächsten eilt, diesmal trifft es jedoch ins Schwarze: Während die europäischen Märkte deutliche Abschläge verzeichneten (der DAX verlor im Wochenverlauf 2,7 %, der heimische ATX 2,5 %), konnten sich die US-Börsen vergleichsweise gut halten und legten sogar leicht zu. Grundsätzlich wäre diese leicht gegenläufige Entwicklung ja nicht sehr schwer zu erklären, immerhin hat Europa mit den Briten ein sehr spezielles und regional wahrscheinlich auch relativ begrenztes „Sonderproblem“. Ganz so einfach ist diese Sache jedoch leider nicht.
Haupttreiber der Bewegung waren wieder einmal die Banken: Der Sektor ging allein diese Woche um über 5 % in die Knie, seit Jahresbeginn steht ein Minus von über 34 % zu Buche. Einzelne Titel erwischte es sogar noch deutlich schlimmer: Die Deutsche Bank markierte ein neues Allzeittief und auch bei der italienischen Bank Austria-Mutter Unicredit ging es den Aktionären schon mal besser. Letztere befindet sich sozusagen im Epizentrum des Bebens. Im Anschluss an die Brexit-Entscheidung lag der Fokus der Aktionäre bereits auf dem Bankensektor als Hauptverlierer des Votums (neben einigen britischen Politikern). In den letzten Tagen kamen Ängste hinzu, dass italienische Kreditinstitute bei den jährlichen Stresstests der EZB eine ähnliche Stressresistenz vorweisen könnten wie ein Lehrer kurz vor Ferienbeginn. EUR 360 Mrd. beträgt der Berg an faulen Krediten, die die italienischen Banken in ihren Bilanzen mitschleppen. Zum Vergleich: das österreichische BIP beträgt knapp EUR 430 Mrd., mit den italienischen Ramschkrediten könnte man also einen guten Teil der heimischen Wirtschaft abdecken…
Das eigentliche Problem liegt jedoch ein bisschen tiefer, denn immerhin hatten viele Kreditinstitute im Anschluss an die Finanzkrise mit Problemkrediten zu kämpfen. Im Gegensatz zu anderen Ländern (allen voran Spanien, wo Banken relativ rigoros aufgespalten und rekapitalisiert wurden) versuchte es Italien mit einer Laissez-Faire Strategie: Die Banken wurden mit gerade ausreichend Kapital versorgt um ein paar weitere Monate zu überstehen, die Aktionäre und sonstigen Kapitalgeber wurden im Vergleich zu anderen Rettungsaktionen mit Samthandschuhen angefasst (an dieser Stelle können sie ihren Lieblingswitz über gemütliche Südländler einfügen). Diese Methode stößt aber nun an ihre Grenzen. Das Problem dabei ist ein Anfang des Jahres in Kraft getretenes EU-Regulatorium, das den attraktiven Namen „Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen“ trägt.
An der Entstehung der Richtlinie sind wir in Österreich nicht ganz unschuldig, immerhin soll dadurch verhindert werden, dass die Steuerzahler für Verluste bei Banken gerade stehen müssen unter dem Vorwand, dass ein einzelnes Institut „too big to fail“ wäre. Um also Resteuropa ein „Hypo-Schicksal“ zu ersparen, dürfen Staaten laut diesem Gesetzeswerk erst tätig werden, sobald die sonstigen Kapitalgeber ihren Anteil an den Verlusten mitgetragen haben. Oftmals wird für diesen Vorgang der Begriff „Bail-in Kaskade“ verwendet. Die Eigenkapitalgeber (die Aktionäre) tragen als erste die Verluste. Wenn dies nicht genug ist (was bei den Kapitalquoten der italienischen Kreditinstitute durchaus der Fall sein kann), „schwappen“ die restlichen Verluste auf die anderen Gläubigergruppen über. Wie in einem Wasserfall wird zuerst das Kapital der Nachranggläubiger aufgebraucht, dann werden die regulären (Senior-)Anleihen beschnitten und zum Abschluss geht es an die Einlagen der Großkunden. Laut der Richtlinie darf der Staat erst zu diesem Zeitpunkt Geld in die Bank pumpen um die Kunden zu schützen. Hauruck-Aktionen wie bei der Hypo oder anderen Bankenrettungen wird damit ein Riegel vorgeschoben, die Aktionäre und Anleihengläubiger sollen das Risiko tragen und nicht mehr die Steuerzahler.
Grundsätzlich ja ein nobles Ziel, ob dies in der Praxis auch funktioniert wurde jedoch bisher nie getestet. Das Problem dabei sind nämlich Ansteckungseffekte innerhalb des Bankensektors: Große Teile des Investmentportfolios der italienischen Banken und Versicherungen setzt sich aus genau den Bankanleihen zusammen, die im Falle einer Pleite beschnitten würden. Verluste bei diesen Wertpapieren würden damit dazu führen, dass auch andere, indirekt betroffene Firmen, plötzlich ihre Kapitalquoten nicht mehr erfüllen…
Was bei dieser Panikmache jedoch nicht berücksichtigt wird, ist die Tatsache, dass in derselben Richtlinie auch andere Mittel für die Bankenabwicklung diskutiert werden. Von der Abspaltung einzelner Segmente bis hin zu einer Schaffung einer eigenen „Bad Bank“, die dann den „Good Banks“ ihre faulen Kredite abkauft, gibt es ein relativ breites Sammelsurium an Werkzeugen, die eingesetzt werden können um diese Ansteckungen zu verhindern. Dies ist zwar wahrscheinlich wenig hilfreich für die Aktionäre der schlimmsten schwarzen Schafe in Italien (eine starke Verwässerung über Kapitalerhöhungen, wie sie auch in Griechenland durchgeführt wurden, wird wohl einigen Eigentümern nicht erspart bleiben), die Gefahr für das Bankensystem an sich dürfte jedoch begrenzt sein.
Die Anleihengläubiger dürften dies ähnlich sehen, denn immerhin gaben die Papiere der Deutschen Bank beispielsweise trotz des Allzeittiefs am Aktienmarkt kaum nach und notieren noch immer deutlich über ihren Tiefständen von Februar, üblicherweise ein gutes Zeichen. Denn ob Anleiheninvestoren intelligenter sind als die Spieler am Aktienmarkt kann man lange diskutieren, sie haben jedoch deutlich mehr Geld um ihren Standpunkt zu vertreten…
Bankaktien haben derzeit viele Probleme, die wir bereits in aller Breite diskutiert haben: Regulatorien, Negativzinsen, maues Wachstum etc. Sie dürften jedoch kurzfristig den Schlüssel für die weitere Richtung des Marktes halten. Auch wenn eine Lösung der Problematik in Italien im Moment nicht greifbar scheint, kann sich die Nachrichtenlage durchaus schnell drehen. Einen Faktor darf man dabei auch nicht ganz aus den Augen lassen: Nächste Woche beginnt in den USA wieder die Berichtsaison. Die Erwartungen für das zweite Quartal sind ähnlich niedrig wie im ersten, was damals zu einer schönen Aktienmarktrally geführt hat. Hoffen wir, gemäß dem Motto: „History never repeats itself. But it often rimes“.