Widmen wir uns endlich den Fragen, um die es am 22. Mai wirklich geht: Welcher der beiden Kandidaten richtet als Bundespräsident weniger Schaden an? Wer ist das geringere Übel?

Es war von Anfang an ein Wettrüsten der Wahlversprechen. Von Andreas Khol, der ankündigte, Minister nicht anzugeloben, wenn sie nicht kompetent genug seien, über Richard Lugner, der Regierungsmitglieder „außehauen“ wollte, wenn sie „Scheiße bauen“, über Norbert Hofer, der in Erwägung zieht, die Regierung mangels Erfolgs abzuberufen bis hin zu Alexander Van der Bellen, der keine FPÖ geführte Regierung unter einem Bundeskanzler Strache angeloben will.

Mit ihren hochtrabenden Ideen versuchen die Kandidaten davon abzulenken, dass die Kompetenzen des Bundespräsidenten in der Bundesverfassung zwar sehr groß, in der Praxis aber sehr beschränkt sind – außer man will Österreich destabilisieren. Vergessen wir nicht, dass die verfassungsrechtlich starke Position des Bundespräsidenten im Jahr 1929 auf Druck der Christlich-Sozialen entstand. Sie wollten den Bundespräsidenten stärken und das Parlament schwächen. Ganz wie sie es vorhatten, ist es ihnen nicht gelungen, weil sich die Sozialdemokraten wehrten. Trotzdem hat der Bundespräsident seither einige besonders gewichtige Kompetenzen. So kann er etwa jederzeit die Regierung oder den Bundeskanzler abberufen. In der Realität war das in Österreich bisher nicht relevant, weil sich die Bundespräsidenten in der zweiten Republik nie maßgeblich ins Tagesgeschäft einmischten. Diese als Rollenverzicht bezeichnete Praxis erscheint den beiden Stichwahlkandidaten offensichtlich nicht mehr zeitgemäß.

Der offensive Wahlkampf der Kandidaten ist im Prinzip verständlich: Wer bewirbt sich schon um einen Job und sagt gleichzeitig, dass er kaum bahnbrechende Veränderungen herbeiführen wird? Niemand. Vor allem nicht jetzt. In einer Zeit, in der die überwältigende Mehrheit des Volks politische Veränderung will. Abgewürgt haben die Kandidaten mit ihren großen Plänen jedenfalls die Diskussion, ob wir überhaupt einen Bundespräsidenten brauchen. Aus verschiedenen Parteien, von den Grünen bis zur ÖVP, kam in den vergangenen Jahren die Forderung, das Bundespräsidentenamt abzuschaffen. FPÖ-Chef Strache will gar Bundespräsident und Bundeskanzler in einer Person vereinen und aus Österreich eine Präsidialdemokratie machen.

Hofer will mitregieren

Norbert Hofer geht in seinem Amtsverständnis von den Aufgaben eines Bundespräsidenten besonders weit. So sagt er etwa, er wolle den Bundeskanzler zu den wichtigsten Treffen des Europäischen Rates begleiten, obwohl jedes andere Land der Europäischen Union nur einen stimmberechtigten Vertreter in dieses Gremium entsendet. Zwei Politiker, die sich um einen Platz streiten: Hofer stärkt mit dieser Idee Österreich nicht. Er gibt sein Land der Lächerlichkeit preis und hintergeht die aufgrund gewählter Mehrheitsverhältnisse arbeitende Bundesregierung, indem er Teile ihrer Arbeit an sich reißen will. Das mag angesichts der schlechten Performance der Großen Koalition nicht bedrohlich wirken. Langfristig gefährdet er damit aber das, wofür Österreich international beneidet wird und das, wovon unser Wohlstand zu einem Gutteil abhängt: den sozialen Frieden. Internationale Unternehmen siedeln sich in Österreich an, weil sie hier davon ausgehen können, dass die öffentliche Ordnung funktioniert. Die Gefahr von Aufständen und gewaltsamen Vorkommnissen außerhalb der Rechtsordnung ist nach wie vor klein. Das ist Investoren aus dem Ausland etwas wert. Sie sind bereit, die hiesigen Standortkosten zu tragen, obwohl diese im internationalen Vergleich hoch sind. Heimische Betriebe bleiben in Österreich, obwohl sie woanders viel Geld sparen könnten. Österreich fiel in den vergangenen Jahren in Standort-Rankings regelmäßig zurück. Dieser Entwicklung kann nur mit den dafür vorgesehenen Verfahren beigekommen werden, sprich: einfachere Gesetze, die von einer effizienteren Verwaltung angewendet werden. All das haben die 183 demokratisch gewählten Nationalratsabgeordneten als Vertreter des Volks mit Mehrheit zu beschließen. Hofer betont gerne, ein Präsident für die Österreicher sein zu wollen. Wenn er als Bundespräsident anderen Staatsorganen ins Handwerk pfuscht und damit das Handeln des Staates ein Stück unberechenbarer und unvorhersehbarer macht, agiert er, selbst wenn er es gut meint, gegen die Interessen der Österreicher. In einer ORF-Fernsehsendung sagte er über die Kompetenzen des Bundespräsidenten: „Sie werden sich wundern, was alles geht.“ Die Bürger sollen sich in einem demokratischen Rechtsstaat nicht darüber wundern müssen, was Vertreter des Staates alles können und dürfen. Staatliches Handeln darf keine Überraschung sein.

Dass es Hofer und die FPÖ schaffen, sich auf verfassungsrechtliche Regeln aus dem Jahr 1929 zu berufen, die aus antiparlamentarischen Bestrebungen entstanden sind und das als einen Schritt in Richtung „direkte Demokratie“ zu verkaufen, ist ein zirkusreifes politisches Kunststück. Es gelingt, weil das direkt vom Volk gewählte Parlament nicht jenes Machtzentrum der Republik ist, als das es eigentlich vorgesehen ist. Es nickt Gesetzesvorschläge der Regierung ab. Immer noch gibt es in den Parteien den Zwang für Abgeordnete, mit ihren Parteikollegen zu stimmen. Überlegen es sich einzelne doch einmal anders, ist das eine Sensation. Zuletzt geschehen beim Asylgesetz, bei dem sich vier SPÖ-Abgeordnete eine eigene Meinung erlaubten. Anträge finden immer noch grundsätzlich nur dann Zustimmung, wenn sie jemand aus den eigenen Reihen stellt. Letzteres zeigt sich aktuell besonders bizarr an einem Schreibfehler in der Regierungsvorlage zum neuen Tabakgesetz, auf den ein Neos-Abgeordneter aufmerksam machte. Die Regierung lehnte dessen Antrag auf Richtigstellung einfach ab.

Van der Bellen will keine FPÖ-Regierung

Auch Alexander Van der Bellen überschätzt das Bundespräsidentenamt mit seiner Ankündigung, keine Regierung unter der Führung eines FPÖ-Bundeskanzlers Strache angeloben zu wollen. Das Argument, die FPÖ sei EU-feindlich und handle damit gegen die Interessen Österreichs, mag in der Sache etwas für sich haben. Allein schon wirtschaftlich. Österreich verdient fast 60 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts im Export. Knapp 70 Prozent der Ausfuhren gehen in EU-Länder. Trotz Nettozahler-Status braucht Österreich die EU, wenn es seinen Wohlstand halten möchte. Finden die Freiheitlichen nach einer Wahl als stärkste Partei einen Koalitionspartner, mit dem sie mehr als 50 Prozent des Nationalrats hinter sich vereinen, hat der Bundespräsident das trotzdem zu akzeptieren – außer er will Österreich destabilisieren. Eine starke Pro-Europa-Position in das Regierungsprogramm hinein zu reklamieren ist Sache des Koalitionspartners der FPÖ. Natürlich kann sich der Bundespräsident dabei einbringen und Forderungen stellen. Doch mit einem Nein zu einer FPÖ-Regierung würde er nichts anderes als eine Trotzreaktion des Volks provozieren.

Durch ihr regelmäßiges Anstreifen an rechtsextremem Gedankengut und den lauwarmen Dementis einer ebensolchen Gesinnung ist die FPÖ ihrem Bundespräsidentschaftskandidaten keine Hilfe. Hofer versucht, das mit freundlichem und gewinnbringendem Gehabe auszugleichen. Das gelingt offensichtlich, wie sein starkes Ergebnis im ersten Wahlgang zeigt. Die Rechtsextremismus-Vorwürfe schaden ihm nicht. Warum ist das so? Man könnte es sich leicht machen und seine Sympathisanten als rechtsextrem bezeichnen. Das ist aber größtenteils falsch. Einen wesentlichen Anteil an dem Phänomen haben FPÖ-Kritiker, die sich zu oft damit zufrieden geben, die Freiheitlichen und ihre Anhänger als Nazis zu beschimpfen anstatt den mühsamen Umweg über Argumente und viel Empathie zu gehen. Stärke der FPÖ ist auch die Schwäche der anderen Parteien. Es gibt keine andere Partei, die sich der Sorgen der sogenannten kleinen Leute annimmt – oder zumindest glaubwürdig so tut, als ob. Mehr als das tut die FPÖ ja auch nicht.

Dass sich jetzt verschiedene hochrangige Politiker aus dem Ausland melden und Österreich ermahnen, nur ja nicht Norbert Hofer zum Präsidenten zu wählen, ist entbehrlich. Wir Österreicher wählen den Präsidenten, den wir wollen. Und Politiker aus dem Ausland, die uns sagen, wen wir zu wählen haben, erreichen damit höchstens das Gegenteil. Das sollten sie spätestens seit 1986 wissen, als Kurt Waldheim trotz internationalen Protests zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Österreichs Bürger sollten sich allerdings auch in Erinnerung rufen, dass sie 1986 zwar den Bundespräsidenten hatten, den sie wollten – aber das war es dann auch schon. Während seiner gesamten Amtszeit war Waldheim international isoliert, wurde von kaum einem anderen Staatschef besucht oder eingeladen und konnte mit seiner Arbeit entsprechend wenig erreichen.

Es geht nicht um Veränderung

Um die politische Veränderung, die sich fast jeder wünscht, geht es bei der Bundespräsidentschaftswahl nicht. Auch wenn die Kandidaten und ihre Unterstützer das Gegenteil behaupten. Die Veränderung wird Thema der Nationalratswahlen sein, die voraussichtlich im Herbst 2018 stattfinden werden. Welche Partei für das Herbeiführen der Veränderung am besten geeignet ist, wird man auch daran erkennen können, wer glaubhafte Pläne für eine spürbare Belebung des Parlamentarismus vorlegen wird.

„Ein Bundespräsident kann auch scheitern. Aber bevor er scheitert, muss er alles probiert haben, was geht“, sagte Van der Bellen bei einer Veranstaltung im Februar. Er zeigt damit immerhin etwas Demut. Das ist eine der wichtigsten Eigenschaften eines Bundespräsidenten. Sie fehlt dem Gegenkandidaten. Im Zweifel ist jener Kandidat das geringere Übel, der nicht nach der Macht greift. Jener Kandidat, der die Verfassungsnovelle 1929 nicht als Drohgebärde gegenüber anderen Staatsorganen vor sich her trägt. Jener Kandidat, der es vorzieht, zu scheitern, anstatt eine Staatskrise auszulösen. Das geringere Übel ist Van der Bellen.

Screenshot Youtube ORF https://www.youtube.com/watch?v=yOSHko4S4Nk

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