Aktuell ist die Rücksichtslosigkeit mancher Radfahrer wieder ein großes Thema in den Medien. Ich möchte zur Abwechslung einmal auf ein anderes Problem im Straßenverkehr hinweisen: Autos, die Radfahrer mit zu geringem Seitenabstand überholen.
Zugegeben: Derzeit ist nicht die beste Zeit, um als Radfahrer Forderungen zu stellen. Wir edlen Pedalritter – als solche sehen wir uns zumindest gerne selbst – bringen das Kunststück zustande, Fußgänger und Autofahrer gleichermaßen gegen uns aufzubringen. In Ballungszentren liegen die Beliebtheitswerte von Radfahrern kaum höher als jene der Großen Koalition. Stop-Tafeln, rote Ampeln, Fahrverbote – all das scheine für uns nicht zu gelten, monieren genervte Autofahrer und überrumpelte Fußgänger ungewohnt einig. Abseits der Städte sind wir das Feindbild der Jägerschaft: Ohne Rücksicht auf Verluste malträtieren wir mit unseren dick bereiften Mountainbikes die Forststraßen. Dadurch verschrecken wir das Wild und beschädigen die Fahrbahnen, die ohne uns nur von belagschonenden Suzuki-Geländewagen und lautlosen Steyr-Traktoren gestreichelt werden würden.
Es überkommt mich deshalb immer eine vorauseilende Form von Demut, wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs bin und mich von anderen Verkehrsteilnehmern ungerecht behandelt fühle. Schuldbewusst versuche ich, ihre Fehler auf mich zu nehmen – sie haben's ja schließlich nicht leicht mit uns. Ein abbiegender Lkw, der mich übersieht? Kein Problem, ich bremse auch für Sattelzüge! Ein Auto, das mir den Vorrang nimmt? Bitte sehr, nach Ihnen! Meine Zuvorkommenheit hat in brenzligen Situationen aller Art bisher immer einigermaßen funktioniert.
Einem Problem kann ich damit aber nicht begegnen: Autos, Busse und Lkw, die beim Überholen nur wenige Zentimeter Abstand halten. Das erlebe ich bei ausnahmslos jeder Rennrad-Tour. Da sich die Fahrzeuge von hinten abseits meines Sichtfelds nähern, habe ich keine Möglichkeit zu reagieren. Müsste ich im selben Moment einem Hindernis ausweichen, wäre eine Kollision nicht zu verhindern.
Das Problem ist: Kraftfahrzeuge, die an Radfahrern mit nur einer Handbreite Abstand vorbeidonnern, verstoßen nicht explizit gegen die österreichische Straßenverkehrsordnung. Im Führerscheinkurs lernte ich, dass in Österreich beim Überholen eines Fahrrades mindestens 1,5 Meter Sicherheitsabstand einzuhalten seien. Aber das war offenbar nur eine Empfehlung der Fahrschule. Paragraf 15 Absatz 4 StVO lautet: „Beim Überholen ist ein der Verkehrssicherheit und der Fahrgeschwindigkeit entsprechender seitlicher Abstand vom Fahrzeug, das überholt wird, einzuhalten.“ Eine konkrete Angabe fehlt. Andere Länder haben ihre Gesetze längst präzisiert. In Kalifornien muss seit 2014 beim Überholen von Radfahrern ein Abstand von umgerechnet etwa einem Meter eingehalten werden. In Portugal gilt seit einigen Jahren ein Mindestabstand von 1,5 Meter.
Der genannte österreichische StVO-Paragraf ist vor 40 Jahren, am 1. Jänner 1977, in Kraft getreten. Einer Zeit, in der ein VW Golf 1,61 Meter (heute knapp 1,80) breit war und SUVs noch nicht erfunden waren. Die Platzverhältnisse auf den Straßen haben sich geändert. Paragraf 15 Absatz 4 StVO sollte das auch tun - und zwar schnell.
P.S.: Noch ein kleiner Hinweis in eigener Sache: Bald kommt mein neues Buch! :)
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