Ich habe eine Überzeugung. Sie lautet: Der Weg vom Hass im Netz zu gegenseitigem Respekt ist kürzer als man denkt. Auch im Wahlkampf. Ich habe es selbst erlebt. Nachdem mir online jemand vorwarf, die Demokratie zu gefährden, traf ich den Herrn zum Kaffee. Danach organisierten wir gemeinsam eine politische Diskussionsveranstaltung. Darüber und über vieles mehr erzähle ich in meinem Buch „Wütend in die neuen Zeiten“. Hier ein exklusiver Auszug für fisch+fleisch.
Jeder von uns ist gelegentlich wütend. Wie unsinnig das in den meisten Situationen ist, wird einem erst klar, wenn die Kraft, die zum Wütend sein notwendig ist, bereits verschwendet und jemand anderer beleidigt ist. Bei der Wut über Politik ist das ganz anders. Sie ist zum Dauerzustand geworden. Sie gehört zum guten Ton. Jemand, der nicht wütend auf unsere Politiker ist, erscheint fast schon verdächtig. Situationen, in denen es einem Bürger peinlich ist, auf die Politik wütend gewesen zu sein, existieren nicht. Im Gegenteil. Viel häufiger werfen aktuelle Geschehnisse die Frage auf, warum man nicht schon viel früher noch wütender gewesen ist. Ungewiss bleibt, ob irgendwann in ferner Zukunft doch einmal der Tag kommen wird, an dem man sich für die Wut über die politischen Zustände von damals, also heute, schämt. Etwa weil die Probleme in dieser fernen Zukunft viel größer und weitreichender sind als jene, die uns jetzt beschäftigen.
So außerhalb jeder Vorstellungskraft sind solche viel größeren und weitreichenderen Probleme nicht. Anstatt in die Zukunft zu schauen, reicht es, den Blick einige tausend Kilometer nach Osten zu richten. Dort befinden sich viele Menschen entweder in offiziellen Kriegsgebieten oder sie leben ihren Alltag mit der Gefahr jederzeitiger Bombenanschläge und Entführungen. Dagegen sind viele unserer alltäglichen Probleme nicht die Emotionen wert, die wir ihnen widmen. Bei allem berechtigten Ärger leben wir in Mitteleuropa das Privileg weitgehenden Friedens und ein so großer Bevölkerungsanteil wie nirgendwo sonst hat alles, was man für ein menschenwürdiges Leben braucht. Das negative subjektive Sicherheitsgefühl, das auch hierzulande überhandgenommen hat, steht in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Gefahrenlage. Auf dem „Global Peace Index“, der 163 Länder nach ihrem Sicherheitsniveau reiht, belegt Österreich den dritten Platz.
Dies ist kein Plädoyer dafür, jede Kritik an der heimischen Politik mit dem Argument abzutun, dass es in anderen Ländern schlimmer zugeht. Schließlich gibt es kein Problem, das man nicht mit dem Verweis auf ein noch größeres kleinreden könnte. Österreich hat, vor allem was die langfristigen Zukunftsperspektiven angeht, gravierende Probleme. Dennoch ist Wut nicht der passende Umgang damit. Sie nebelt den Weg zur Lösung nur ein. Sie verstellt die Sicht auf gute Ideen. Sie lässt uns selbstmitleidig im aktuellen Zustand verharren. Diese Zeilen sollen dazu anregen, differenziert zu bleiben anstatt blinde Wut walten zu lassen. Konsequent, aber offen für Gegenargumente. Leidenschaftlich, aber nicht emotional. Das klingt alles irgendwie nach Wahlplakatsprüchen. Austauschbar und nichtssagend. Doch es beschreibt genau das, was in der öffentlichen Diskussion über Politik fehlt. Mehr noch: Es ist das Gegenteil dessen, wie die öffentliche Diskussion jetzt ist.
Im Internet wird das ganze Schlamassel für jeden sichtbar. Dort, wo sich viele Leute so verhalten, als bliebe ihr Tun anonym und ohne Konsequenzen, zeigt es sich besonders gut. Bei der Mehrheit der Internet-Postings zu politischen Themen handelt es sich nicht um argumentierte Meinungen, sondern um unkontrolliert freigesetzte Emotionen. Fast immer ist es Wut. Wut über die herrschende Politik. Wut über Andersdenkende. Wut über Ausländer. Wut über Nationalisten. Wut über die grassierende Wut. Wut lässt sich herrlich einfach in die Computertastatur hämmern. Das ist viel bequemer als sie jemandem ins Gesicht zu sagen. Allerdings richtet die im Internet ausgelebte Aggressivität großen realen Schaden an. Sie bringt Menschen dazu, aus Angst vor Anfeindungen lieber zu schweigen anstatt zu argumentieren. Diese Selbstzensur ist eine Bedrohung für die Demokratie und unser friedliches Miteinander.
Es ist ein großer Irrtum, diese Zerstörung der Diskussionskultur einer asozialen oder ungebildeten Schicht am Rand der Gesellschaft zuzuschreiben. Es sind ganz gewöhnliche Bürger, die sich im Internet nicht immer so zu benehmen wissen, wie es sich gehört. Der Hass im Netz ist auch keine Frage der Weltanschauung. Er geht nicht, wie oft behauptet wird, nur von schlecht gebildeten, frustrierten, rechten Modernisierungsverlierern aus. Das ist zwar häufig der Fall. Postings mit nationalsozialistischem Inhalt tun aufgrund der Geschichte Österreichs besonders weh. Für sie gibt es das Verbotsgesetz, das den Urhebern mit Gefängnisstrafen droht. Gut so. Aber abseits dieser schweren Fälle schenken sich Rechts und Links beim Austausch ihrer gegenseitigen Abneigung nichts. Oder um es mit einem Phänomen zu veranschaulichen, das auf Facebook besonders oft zu beobachten ist: Ob ein Rechter einen Linken mit deftigen Schimpfworten bedenkt oder ob sich ein Linker über die schlechten Grammatikkenntnisse des Rechten lustig macht, ist im Ergebnis egal.
Beides ist kein wertvoller Beitrag zur öffentlichen Diskussion. Beides ist eine Folge dessen, was allen diesen Hassbotschaften gemein ist: Die nicht vorhandene Fähigkeit oder Bereitschaft, sich in die Perspektive des Gegenübers hinein zu versetzen. Bevor es Facebook und ähnliche Plattformen gab, blieben all die Aggressionen und niederen Instinkte, die in uns allen wohnen, entweder im kleinen Kreis oder überhaupt verborgen. Politische Kommentare, die die Meinungsfreiheit bis an ihre Grenzen ausreizten, gab es am Stammtisch zu hören oder maximal auf den Leserbriefseiten der „Kronen Zeitung“ zu lesen.
Alleine vorm Bildschirm sitzend oder mit dem Handy in der Hand Gedanken zu verschriftlichen, ist ein intimer Moment. Kein Gegenüber, dessen Reaktion wir wahrnehmen. Niemand da, auf den es Rücksicht zu nehmen gilt. Dabei dennoch ein Millionenpublikum erreichen zu können, ist evolutionär völlig neu. Entsprechend schlecht können wir damit umgehen. Falsch ist, angesichts der neuen technischen Möglichkeiten zu behaupten, die Leute seien streitsüchtiger oder ungehobelter geworden. Sie haben beim Ausleben dieser Charakterzüge nur ein viel größeres Publikum als früher.
Ein Redakteur des österreichischen Nachrichtenmagazins Profil tat im Sommer 2016 genau das Richtige. Er kontaktierte die Leute, die ihrer Wut im Internet oder per Leserbrief freien Lauf ließen und bat um ein Treffen. Später schrieb er einen Artikel darüber. Eine jener Personen, die dazu bereit waren, hatte der Redaktion zuvor unter anderem die Worte „Geht’s scheißen“ geschickt. Ein anderer hatte sich gewünscht, der Staat würde das Magazin einfach verbieten. Beim Termin mit dem Redakteur wurden die Worte anders gewählt. Der Kommentator, der das Medium zuvor noch verbieten lassen wollte, nannte seine Reaktion „überspitzt“ und das Magazin sogar eine „renommierte Zeitschrift“. Der zum Stuhlgang Auffordernde gab an, nicht damit gerechnet zu haben, dass seine Worte überhaupt jemand liest und meinte, er hätte sie besser anders formulieren sollen. Ein Dritter hatte zuvor den Chefredakteur mit der niedlichen Beschimpfung „du voreingenommener, komplexbeladener Schreiberling“ bedacht und entschuldigte sich von Angesicht zu Angesicht dafür.
Auch der Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung Falter besuchte einen jungen Mann, der ihn auf Facebook beleidigt hatte. Er hatte geschrieben, der Journalist gehöre angezündet. Zwei Stunden diskutierten sie bei dem persönlichen Zusammentreffen über Politik. „Sehr gesittet“, wie der Redakteur schreibt. Eine Entschuldigung des Mannes erfolgte bereits vor dem Treffen.
Die Wut, mit der wir im Internet konfrontiert sind, ist häufig offenbar nur ein erstes, unüberlegtes Dampfablassen von Menschen, die sich im direkten zwischenmenschlichen Kontakt sehr wohl zu benehmen wissen. Das ist eine wichtige Erkenntnis, die dem scheinbar hasserfüllten und missgünstigen Klima in den sozialen Medien einiges an Schrecken nimmt. Es tut gut zu wissen, dass sich dahinter meist Menschen verbergen, die keine asozialen Monster sind, sondern ihre Gedanken und Emotionen einfach nur nicht jederzeit im Griff haben. Auch ich wurde nach dem Erscheinen meines ersten Buchs „So nicht! Anklage einer verlorenen Generation“ mit einigen untergriffigen Zuschriften bedacht. An so etwas muss man sich erst einmal gewöhnen, wenn man zuvor noch nie in der Öffentlichkeit gestanden ist.
Am Anfang empfiehlt es sich, nicht jeden Kommentar im Internet selbst zu lesen. Nach meinen ersten Zeitungsinterviews bat ich einen Freund, Leserbeiträge im Internet zu sichten und mir dann zusammenfassend zu erzählen, worum es ging. Inhaltliche Kritik sollte er eins zu eins wiedergeben, bei Beschimpfungen und persönlichen Angriffen nur kurz schildern, worauf sie abzielten. Nach und nach tastete ich mich so an die Sitten im Internet heran, bis ich nach einigen Wochen alles selbst las, ohne Aggressionen persönlich zu nehmen.
Eines Tages schrieb mir jemand auf Facebook die folgenden Worte: „Antidemokratische Reflexe, um ein Buch zu verkaufen? Pfui!“ Ich antwortete: „Mal eben schnell auf eine Seite klicken, deren Titel mir nicht gefällt und ein nicht argumentiertes und polemisches Posting verfassen? Pfui!“ Es war ein Dialog jener Art, wie er im Internet millionenfach geführt wird. Zwei Personen tauschten ihre gegenseitige Abneigung aus, ohne sich persönlich zu kennen. Was aber aus dieser Konversation entstand, überraschte mich. Nach einigem Hin und Her folgte eine Verabredung zum Kaffee. So destruktiv der erste Kontakt im Internet auch war, so konstruktiv war das erste persönliche Zusammentreffen. Der Fremde entpuppte sich als anerkannter Kulturmanager. Aus einer in unserem Gespräch gemeinsam entwickelten Idee wurde vier Monate später die im damaligen Nationalratswahlkampf einzige Podiumsdiskussion Oberösterreichs, bei der Nachwuchspolitiker aller Parteien jungen Wählern Rede und Antwort standen. Ich veranstaltete und moderierte sie und der jetzt nicht mehr so Fremde stellte mir dafür den Raum kostenlos zur Verfügung.
Der Weg vom Hass im Netz zum respektvollen Miteinander ist mit einem Verlust an Bequemlichkeit verbunden. Er verlangt, sich vor dem Klick auf den Veröffentlichen-Knopf die beim Empfänger entstehende Botschaft gut zu überlegen. Er verlangt, sich die Mühe zu machen, einen Text im Zweifel umzuformulieren oder überhaupt darauf und somit auf Aufmerksamkeit zu verzichten. Er verlangt, andere Meinungen zu akzeptieren. Es ist nötig, sich gerade beim Thema Politik bewusst gegen die Mechanismen der sozialen Netzwerke zu stellen. Diese verleiten zu unüberlegtem Handeln, indem sie die Anzahl der „Likes“ über den Wert eines Postings entscheiden lassen.
Wir müssen uns immer bewusst sein, dass Plattformen wie Facebook ursprünglich nicht für den politischen Diskurs, sondern zur Kontaktpflege mit Freunden und Bekannten geschaffen worden sind. Sie sind darauf ausgelegt, Gleichgesinnte zu verbinden, den Benutzern Bilder, Videos und Texte anzuzeigen, die ihnen „gefallen“ und eine virtuelle Welt zu erschaffen, in der sie sich rundum wohlfühlen. Politische Diskussionen leben hingegen von unterschiedlichen Meinungen. Sie leben von der Mühe und dem Willen, andere Menschen von der eigenen Position zu überzeugen. Genau dieses Bestreben fehlt im Internet. Die meisten Nutzer argumentieren nicht mit dem Ziel Andersdenkende für den eigenen Standpunkt zu gewinnen, sondern mit der Hoffnung auf Applaus von Gleichgesinnten. Plattformen wie Facebook fördern das, indem sie etwa Kommentare automatisch nach der Anzahl der Likes reihen. Je mehr Likes ein Beitrag generiert, desto mehr Personen sehen ihn, desto mehr Potential für noch mehr Likes hat er – ein nicht enden wollendes Pyramidenspiel. Um es in Gang zu setzen, braucht es ein Posting, das auf möglichst einfache Weise Menschen dazu bewegt, es weiter zu verbreiten. Lange Texte, die ein politisches Thema aus unterschiedlichen Perspektiven abhandeln und am Ende zu einem sachlichen Schluss kommen, haben in den schnelllebigen Online-Netzwerken nur eine geringe Chance auf große Reichweite. Aber sie lebt.
Wir alle können die Sachlichkeit und die Qualität politischer Diskussionen im Internet fördern. Dazu müssen wir uns einerseits die Arbeit machen, gezielt solche Beiträge zu Ende zu lesen und mit Likes zu versehen. Andererseits müssen wir für unser eigenes Tun das Gespür und den Willen dafür entwickeln, nichts zu veröffentlichen, das nur Gleichgesinnte unterhält und Andersdenkende erniedrigt.
Es ist an der Zeit, kritisches Denken nicht nur bei fremdem, sondern auch bei eigenem Verhalten anzuwenden. Vielen Menschen fällt es nicht auf, dass sie selbst zum Hassposter geworden sind. Fast jeder hat Bekannte und Freunde, die im echten Leben durch Liebenswürdigkeit und online durch Aggression auffallen. Sprechen wir sie behutsam darauf an. Persönlich, nicht auf Facebook. Die Diskussionskultur im Internet ist kein virtuelles Thema, das wir ausblenden können, wenn wir den Computer abschalten. Weite Teile des realen Lebens spielen sich heute online ab und es wird noch mehr werden. Die großen traditionellen Medien, die früher nur auf Papier existierten, richten ihre Berichterstattung auf das Treiben in den Online-Netzwerken aus. Einerseits werden sie dazu verleitet, das zu berichten, was auf Facebook am häufigsten angeklickt wird. Wenn etwa der dort besonders engagierte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache auf seiner Seite einen Artikel der „Kronen Zeitung“ empfiehlt, schnellen auf deren Website die Zugriffszahlen, die sie mit Werbung zu Geld macht, auf das Anderthalbfache in die Höhe. Andererseits finden sich in traditionellen Medien immer häufiger Berichte darüber, was im Internet passiert. Während früher auf Facebook diskutiert wurde, was in der Zeitung steht, ist es heute häufig umgekehrt. Die Grenzen zwischen real und virtuell sind längst gefallen. Es liegt an uns, was wir daraus machen.
Nie vergessen sollten wir dabei, dass der Weg vom Hass im Netz zum respektvollen Miteinander kürzer ist, als man denkt.
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