Verpackungen halten nicht immer, was sie versprechen. Ich betrat kürzlich ein Lokal, das von außen mit einem verrucht wirkenden rot-schwarzen Schriftzug damit warb, der „Club X-treme“ zu sein. Das wirkte auf mich wie das Versprechen, da drinnen würde es wilde Orgien mit Latex-Hexen geben, die zur undergroundigsten Tanzmusik des Universums, aufgelegt von einer DJane vom Mars, ihre paarungsbereiten Leiber schütteln während in einer Ecke, kaum erkennbar durch die dichten Schwaden aus Kokainstaub und Marihuanarauch, quer durcheinander kopulierende Menschengruppen ihre Körperlichkeit damit feierten, zwischen den Orgasmen Schnaps zu saufen, der ihnen von nackten Kellnerinnen und Kellnern in die Münder geträufelt wurde. In Wirklichkeit sah der „Club X-treme“ so aus: Ein ca. 20 Quadratmeter kleiner versiffter Raum mit einer kurzen Theke, hinter der eine ältere Dame gelangweilt und mit grantigem Gesichtsausdruck in der „Brigitte“ blätterte, ein leerer Mini-Dancefloor unter einer Discokugel aus den 70er Jahren, beschallt mit Helene Fischer-Gedudel, und als einziger Gast ein völlig fertig wirkender Mann, der an einem winzigen Stehtisch auf einem Barhocker saß und in sein halb leeres Bierglas starrte.

Ähnlichen Etikettenschwindel betreiben manche Politiker. Franz Voves, Landeshauptmann der Steiermark, und sein burgenländischer Amtskollege Hans Niessl behaupten beide, Sozialdemokraten zu sein. Niessl unterstützt einen Vorstoß von Voves, der gefordert hatte, den Straftatbestand der „Integrationsunwilligkeit“ einzuführen. Als Beispiele für bestrafungswürdige Integrationsunwilligkeit führte Voves muslimische Männer an, die sich weigerten, mit den Lehrerinnen ihrer Kinder zu reden, weil sie Frauen nicht für voll nehmen, und muslimische Eltern, die ihre Töchter nicht am Schwimmunterricht teilnehmen lassen. Nun ist es zweifelsfrei wünschenswert, dass Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen zu akzeptieren lernen, dass in Österreich Frauen zumindest nach offizieller Lesart keine Menschen zweiter Klasse sind, und dass es als extreme Unhöflichkeit aufgefasst wird, wenn sich Männer weigern, Frauen die Hand zu geben. Die populistische Boshaftigkeit der Voves´schen Erziehungsmaßnahmen zeigt sich aber am Vorhaben, Menschen, die traditionell bedingt ein anderes moralisches Empfinden von Sexualität und Freizügigkeit haben als Mitteleuropäer, dazu zu zwingen, ihre Töchter dem gemischtgeschlechtlichen Schwimmuntericht auszusetzen. Das ist respektlos und auf eine ganz besonders unangenehme Art autoritär. Das ganze Ansinnen, Anpassung mittels Strafandrohung zu erzwingen, ist autoritär. Daneben verblasst auch Voves´ tatsächlich sinnvoller Vorschlag, einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler einzuführen.

Vielleicht ist es unfair, Voves und Niessl Etikettenschwindel vorzuwerfen, denn leider blickt die Sozialdemokratie in ganz Europa auf eine unrühmliche Tradition von Zwangsbeglückung und autoritären Maßnahmen zurück, die zum Beispiel im sozialdemokratischen Musterland Schweden bis zur Sterilisierung und Psychiatriesierung unangepasster Menschen ging. Aber von meiner ganz persönlichen Perspektive aus sind Zwangsmaßnahmen trotzdem nicht wirklich sozialdemokratisch. Meiner unwichtigen Meinung nach soll die Sozialdemokratie Möglichkeiten schaffen, Rechte durchsetzen und für ökonomische Rahmenbedingungen eintreten, die eine möglichst freie Entfaltung des Individuums ermöglichen, ohne dabei das Gemeinwohl aus den Augen zu verlieren. Konkret: Muslimischen Mädchen helfe ich nicht dadurch, indem ich sie zwinge, einen Badeanzug oder einen Bikini zu tragen, sondern indem ich ihnen die Freiheit der Wahl gebe. Kulturell bedingte Frauenfeindlichkeit schaffe ich nicht durch Geldstrafen für Männer ab, die Frauen nicht die Hand geben, sondern durch die Vorbildwirkung einer Gesellschaft, die ja nachweislich für alle besser wird, wenn Frauen in ihr nicht diskriminiert werden. Wenn wir wollen, dass sich Menschen an unseren Lebensstil anpassen, müssen wir zuerst sicherstellen, dass der überhaupt anpassungswert ist, also vor allem auch die immer noch bestehenden Missstände und Ungerechtigkeiten in unserer „Kultur“ angehen statt uns nur auf angebliche oder tatsächliche „Integrationswilligkeit“ der anderen zu fixieren. Vielleicht sollten wir auch einen Blick nach Amerika riskieren. Die USA sind immer noch das attraktivste Einwanderungsland der Welt und haben dennoch vergleichsweise geringe Probleme mit Integration und „Integrationsunwilligkeit“. Das liegt unter anderem daran, dass die persönliche Freiheit dort einen hohen Stellenwert hat und religiöse wie kulturelle Eigenheiten weitgehend akzeptiert sind, solange keine Gesetze gebrochen oder die Freiheiten der anderen bedroht werden.

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