Wie die Wiener Wochenzeitung “Falter” vor einigen Monaten aufgedeckt hat, herrschen in Österreichs Gefängnissen teils zum Himmel schreiende Zustände.  Von Misshandlungen ist da die Rede und von Häftlingen, die man einfach in ihren Zellen “vergisst”, bis sie bei lebendigem Leib verfaulen. Das sind keine Anschuldigungen rachsüchtiger Ex-Knackis, sondern das geht aus internen Berichten der Justizvollzugsanstalten hervor. Dass unsere Gesellschaft Menschen, die ihr völlig wehrlos ausgeliefert sind, dermaßen schlecht behandelt, ist kein “bedauerlicher Einzelfall”, wie Politikerinnen solcherlei gerne zu kommentieren pflegen, sondern eine Folge der gesamtgesellschaftlichen Verrohung, die wiederum viel zu tun hat mit der Ökonomisierung aller Lebensbereiche und mit der Maul- und Denkfaulheit von im weitesten Sinne Linken und von liberalen Bürgerlichen, die keine Lust mehr zu haben scheinen, dem von Boulevard und Rechtsparteien immer wieder angestimmten Gejaule über die “Kuscheljustiz” etwas zu erwidern. Dabei ist schon seit Jahrzehnten bekannt, dass ein humaner Umgang mit Strafgefangenen das Risiko erneuter Straffälligkeit senkt.

Wer gefangene Menschen wie Tiere behandelt, züchtet Zeitbomben, die irgendwann hochgehen, während ein respektvoller, menschenwürdiger Umgang zumindest die Chance eröffnet, dass sich jemand tatsächlich bessert. Das ist keine Meinung, sondern eine durch zahlreiche internationale Vergleiche und durch etliche wissenschaftliche Versuche erwiesene Tatsache. Man könnte auch sagen, hier stehen Primitivität (Rachsucht, Sadismus) und Rationalität (Resozialisierung durch humane Behandlung) zur Auswahl, und eine feige Politikerklasse meint, das Volk sei halt primitiv, daher müsse man eine primitive Politik machen. Interessant ist, dass so viele Menschen es nicht einmal schaffen zu verstehen, dass ein humaner Strafvollzug in ihrem eigenen egoistischen Interesse wäre, denn hinter Gittern landet man schneller, als viele meinen, und oft genug auch unschuldig.

Strafgefangene sind nicht die einzigen, die unter der Brutalisierung der Gesellschaft leiden. Auch in den Psychiatrien wird seit einigen Jahren wieder verstärkt und wie selbstverständlich zu extremen Zwangsmaßnahmen wie Fesselung gegriffen, und es landen immer mehr Menschen aus immer lächerlicheren Anlässen für immer längere Zeit in den Irrenhäusern. Psychisch Kranke gehören zu den verwundbaren Segmenten der Gesellschaft, so wie Strafgefangene, Obdachlose, Bettlerinnen und andere ökonomisch Abgehängte, und daher spüren sie rascher und intensiver, wenn sich etwas verändert, wenn bislang halbwegs sicher geglaubte hart erkämpfte soziale und menschenrechtliche Standards wieder einkassiert werden. In Österreich wurde 2014 die Invalidenrente für alle Menschen unter 50, die nicht todkrank sind, abgeschafft. Die Folge ist nicht nur eine wirtschaftliche Präkarisierung von ohnehin schon meist ums finanzielle Überleben kämpfenden Menschen, sondern auch eine Art Abwertung seelisch Kranker, die sich, wie mir mehrere Leute erzählten, bereits bemerkbar macht in deutlich unfreundlicheren und raueren Umgangsformen der psychiatrischen Zunft mit den Patienten.

Das ist nicht überraschend, sondern die ganz normale Folge einer Politik, die Menschen entwertet, indem sie sie für die Probleme der anderen verantwortlich macht. So wie Rechtspopulisten Verbrecher und Armutsmigrantinnen zu Sündenböcken machen, hat der österreichische Sozialminister Hundstorfer mehrmals betont, das größte Problem des Sozialsystems seien die Invalidenrentenbezieherinnen. Was nicht mal ansatzweise stimmte, aber ein prima Vorwand war für massiven Sozialabbau. Eiskalt wurde durch diese Politik die weitere Stigmatisierung kranker Menschen als Kollateralschaden mit einkalkuliert.

Rührt sich irgendein Widerstand gegen diese Entwicklungen? Nicht wirklich. Die Justizreformer der 60er und 70er Jahre sind ebenso ausgestorben wie die kritische Ärztinnen und Pfleger, die einst die Psychiatrie reformieren wollten. Heute sitzen fast überall mutlose und opportunistische Funktionsträger und Systemerhalter, die vielleicht mit den Zuständen, die sie täglich sehen und zu verantworten haben, nicht immer einverstanden sein mögen, dann aber nur mit den Achseln zucken, “was soll man machen” murmeln und am Ende des Monats ihr Gehalt in Empfang nehmen. Der zunehmende Stress in Wirtschaft und Arbeitswelt führt zu Vereinzelnung und Entsolidarisierung, jeder will nur mehr sich selbst irgendwie durchschleppen, Interesse und Engagement für Schwächere bleibt kaum übrig. Begleitet wird das alles von einem völlig sinnentleerten Freiheitsgeschwafel, das nur mühsam eine Wirklichkeit überdecken kann, in der die Freiheit langsam ausstirbt. Niemand ist frei, wenn nicht alle von existenziellen Ängsten befreit sind. Niemand ist frei, wenn andere unfrei sind, und sei er Milliardär.

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Johanna Vedral

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