Kennen Sie Professor Singer?
Wenn nicht, dann möchte ich Ihnen eine mehr oder weniger kurze und – ganz im Singerschen Sinne – Gehirn-leicht-verdauliche Erläuterung geben. Zumindest bilde ich mir das ein. Ist dem nicht so und Sie verstehen kein Wort, zeige ich cool auf Singer und bin auch schon entschuldigt. Ich wollte ja. Mein Gehirn aber nicht.
Und sollte sich jetzt jemand fragen, warum ich mir das antue. Nun. Eigentlich habe ich mich ja mit der Frage beschäftigt, ob der Mensch frei ist. In seiner Entscheidung. Und was das überhaupt bedeutet.
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Danke!
Per Definition ist Freiheit ein Zustand, in welchem ein (jeder) Mensch in jeder Situation zwischen verschiedenen Alternativen wählen und anschließend die (Alternative) wählen kann, für die er sich – aus welchen Gründen auch immer – ohne Zwang entschieden hat.
Na wie schön! Klingt genau so, dass jeder auf der Stelle rufen möchte: „Aber Hundertprozent!“ Sie auch. Stimmt’s? Na ja. Möchten und wollen. Die beiden engsten Vertrauten des real-täglichen Versagens. Sehr traurig, denn denken Sie mal, wäre es nur ein bisschen wahr, was könnten wir nicht alles sein und haben! Und genau in diesem Sinne sind die meisten Menschen fatalerweise der neuzeitlichen Legende aufgesessen, jeder könnte alles erreichen. Wenn er (meinetwegen auch sie) es sich nur fest genug vornimmt, dafür entscheidet und sich Mühe gibt.
Dann werden alle Wünsche wahr! Tolle Sache. Mal kurz nachdenken – solange ich mir einbilde, das noch zu können. Hm. Ich müsste mich also nur für etwas entscheiden, mich anstrengen und es wollen? Wäre dem so, gucken Sie ganz schnell mal nach oben. Das bin ich, wie ich ein gepflegtes Ründchen über den Wolken drehe. Schließlich wünsche ich mir das seit meiner Kindheit. Wieso falle ich dann trotzdem vom Sofa? Ohne mich noch vor dem Aufprall grazil in die Luft zu erheben? An meinem freien Willen kann es nicht liegen. Ich habe mich längst dafür entschieden.
Das erscheint Ihnen aber sehr an den Haaren herbeigezogen? Ach? Sie glauben also nicht, dass Sie sich nur für irgendwas entscheiden müssen - natürlich mit allen Konsequenzen wie harter Arbeit, täglicher Übung und so weiter – und schon ist das angepeilte Wunsch-Ziel zum Greifen nah? In einer Zeit, in der Schuster, Bäcker und Schneider ebenso berühmt sind wie ihre prominenten Kunden? In einer Zeit, in der ES-Mädchen berühmt sind, einfach nur weil sie DA sind? Wenn das geht, muss alles gehen. Das denken Sie doch auch, oder?
In einem Beitrag von Herbert Erregger behauptete ein Kommentator denn auch voll überzeugt: „Freiheit wird nicht zuerkannt, sondern ist der natürliche Grundzustand des menschlichen Daseins…“
Das zu behaupten ist sein gutes Recht und außerdem hoch interessant. Und auf den ersten Blick (bedauerlicherweise auch auf den zweiten, dritten …) stimmten bestimmt 99,99 und so weiter Prozent aller Leser just diesem Satz aus ganzem Herzen zu. Ohne lange nachzudenken. Weil sie es so wollen. Wer stellt sich schon gern vor, nicht frei in seinem Denken zu sein.
Ja, wer wohl? Professor Singer zum Beispiel. Aber bevor ich ein bisschen über den Herrn Professor und seine gänzlich konträren Thesen über den freien Willen erzähle, möchte ich (ja, ja – ich möchte) doch noch sagen, dass ich zwar keine glühende Anhängerin von Singers www.Gehirnverband-These bin, andererseits würde ich jedoch niemals so weit gehen zu behaupten, dass Freiheit der natürliche Zustand des menschlichen Daseins ist.
Rein theoretisch - in einer Runde abgehobener Schwätzer, ja da können alle Menschen gänzlich frei zwischen diesen und jenen Möglichkeiten wählen. Sozusagen losgelöst vom schnöden Rest der wirklichen Welt. Natürlich müssen sich auch die imaginären Freigeister genügend Mühe geben, zum Beispiel in dem sie ganz viele philosophische Ratgeber lesen. Allerdings wären sie dann auch nicht frei, sondern folgten nur den dort vertretenen Meinungen. Schwierig, oder? Im Weit-weit-weg-Universum der meisten Philosophen dagegen ist alles möglich. Einfach so. Per Geschwätz. In der Realität müssten Menschen allerdings erst einmal generell solche Wahl-Möglichkeiten haben. Schon daran hapert es ja. Die Praxis ist grau. Nicht weiß oder schwarz. Das zumindest muss jedem klar sein: Die meisten Menschen auf dieser Welt haben nicht mal eine Wahl-Möglichkeit.
Pingelige Auslegungs-Puristen werfen jetzt selbstverständlich erbost die schöne Theorie nach meiner trüben Praxis. Sicher, ein Mensch, der am verhungern ist, kann sich fürs Verhungern entscheiden. Kann er das wirklich? Oder greift sein Gehirn ein und lässt ihn Dinge tun, für die er sich mit vollem Bauch niemals freiwillig entschieden hätte?
Und wieso entscheiden so viele Menschen, doch lieber einer (meist auch noch diktatorischen) Sekte/Religion/Vereinigung beizutreten oder Mitglied einer solchen zu bleiben? Obgleich dort Dinge verlangt werden, die jedem normalen Menschen ein Greuel* sein müssten?
Sind all diese Menschen dann also nicht normal?
An dieser Stelle (gedanklich) angekommen, fiel mir - oder meinem allein agierenden Gehirn - Professor Singers These ein. Zugegeben, der erste Versuch meines, nach der Lektüre der Singerschen Thesen leicht verwirrten Gehirns, dieser These einen für mich akzeptablen Sinn abzugewinnen, ging schief.
Total schief.
Mein Hirn war echt unfroh, womöglich sogar erbost über die Vorstellung ein ‚SYSTEM‘ zu sein, das aus Zell-Ensembles oder –Verbänden besteht, die von vornherein so oder so angeordnet sind und bei ungünstiger oder gar falscher Anordnung und Schwingung zu diesen oder jenen unangenehmen Verhaltensweisen führen. Zwangsläufig, sozusagen.
Nach etlichem Hin- und Her-Gefuhrwerke meiner Zellverbände fiel einem Randstück schließlich ein, das Professor Singer im Grunde ja auch nichts anderes behauptet, als dass dieser und jener nicht alle Tassen im Schrank hat und wenn doch, dann eben nicht in der richtigen Reihenfolge. Und das so was am Ende dann und wann nicht gut ausgeht.
Ab diesem Zeitpunkt gefiel meinem Gehirn Hirnforscher Singers These, auch wenn es, zugegeben, leider keine erfahrungsgestählten Zell-Ensembles hat um dieser These freudig zuzustimmen oder gar Heureka-mäßig aufzuschreien „Jawohl, das ist es doch, das schwante mir schon lange.“
Aber was nicht ist, kann ja noch werden (glaubt man Herrn Singers These). Oder warum, fragen sich meine auf Input lauernden Zellverbände, sollten wir das nicht glauben? Vielleicht, weil es doch ein bisschen traurig ist, nicht mehr zu sein als ein SYSTEM? Ein dezentrales noch dazu.
Nicht: Ich denke, also bin ich. Sondern: Mein Denken organisiert mich, also könnte ich sein, falls...?
Zumindest der e-Generation wird es gefallen zu glauben, ihr Gehirn sei eine Art www.–Verband, der nach dem bekannten search&find-Prinzip arbeitet und zum Schluss ganz allein entscheidet, welche Informationen für uns wichtig sind und welche nicht.
Er muss ein höchst intelligenter Mensch sein, dieser Professor Singer. Einer, dessen Syntax sich hervorhebt, der anscheinend klare, ja, vernünftige Ansichten zu haben scheint, bedenkt man, dass er postuliert oder jedenfalls ahnen will, dass das menschliche Bewusstsein keinesfalls frei wäre zu entscheiden, sondern von irgendwelchen synaptischen Unwägbarkeiten rein zufällig bestimmt wird.
Und damit wären wir wieder bei meinem Problem. Hat der Mensch einen freien Willen und ist für alle seine Taten verantwortlich?
Nein! Meint Professor Singer strikt. Und so wären, seiner These logisch folgend, zum Beispiel Strafen oder Strafmaßnahmen für Verbrecher letztlich unbillig, wenn das seine Umwelt gefährdende Individuum nur deshalb seine Umwelt gefährdet, weil jene daher gesagten Zellverbände in solch einem Fall unseligerweise disharmonisch schwingen.
Nun will Professor Singer darob nicht jeder Untat Tür und Tor öffnen, nein, er meint nur, die Ausdrucksweise müsse sich verändern. Statt Strafmaßnahme sollte es Schutzmaßnahme heißen, was, wenn man es mal recht bedenkt, dem nicht so ins Detail grübelnden Bürger ziemlich wurscht sein kann.
Am Ende kommt es auf dasselbe raus.
Fassen wir mal zusammen, was Professor Singer so über Hirne meint: Erstens, irgendwas muss da sein, das wir nicht erkennen (können). Oder: Zweitens, muss grundsätzlich anders sein, als wir bisher immer dachten. Falls wir das dachten. Oder: Drittens, so ein Gehirn muss dies oder jenes tun, was wir nie geahnt hätten. Oder: Viertens …….
Man könnte natürlich auch sagen: Nix Genaues weiß man nicht. Allerdings wäre da noch die Sache mit der Seele. Und der Gott-gegebenen Freiheit des Willens. Zugegeben. Ein schwer verdaulicher Brocken. Und nach Professor Singers Thesen wäre dergleichen der Gipfel des Pipifaxes. Zudem bieten seine Thesen seinen religiösen Widersachern eine wirklich einfache Lösung an. Denn wer wollte noch ernsthaft behaupten, dass sich ein Haufen - nach vorgegebenen Mustern organisierende Zell-Verbände mit streng reglementierter Input- und Output-Funktion - nach irgendwas Höherem, gar Mystischem sehnen könnte? Und wozu?
Das ist doch eigentlich schade, finden Sie nicht?
Deshalb oder gerade deshalb behaupte ich einfach mal: Das kann gar nicht sein! Wir können - nur ein Beispiel - Mitleid empfinden; eine nach Singer ganz nutzlose Funktion. Wir lachen und weinen, wir sind gut, wir sind böse, wir finden das eine schön, das andere hässlich. Einfach so. Ich finde, manchmal sind wir beinahe etwas Besonderes. Das müssen die meisten von uns glauben dürfen. Ob es nun so ist oder nicht. Denn wären wir so, wie Professor Singer behauptet, dann wären wir in jeder Hinsicht sinnlose Monstren. Wenn wir vom Nichts stammen und ins Nichts gehen, sind wir auch nichts mehr als ein belangloser Scherz, den Niemand belacht. Welchen Nutzen hat es denn, zu einer Überflüssigkeit gemacht zu werden? Macht uns so eine Erkenntnis freundlicher? Umgänglicher? Demütiger? Klüger?
Zellklumpen aller Länder schwingt harmonisch, denn mehr habt ihr nicht?
Hirnforscher Singer irrt. Ein bestenfalls humoriges Zellklümpchen hat ihn angeschmiert. Ein schlimmstenfalls ganz destruktiv veranlagtes will uns allen Übel. Wenn wir es denn zulassen.
Denn ist nun die Vorstellung, dass jede fiese Tat nicht Resul-Tat unseres freien Willens ist, sondern – nach Professor Singer – lediglich durch ein ganz unmelodisch schwingendes oder von vornherein völlig schräg zusammengesetztes Hirn verursacht wurde, ein Trost?
Wohl eher nicht.
Dann drücken wir doch alle zusammen ganz doll die Daumen und hoffen das Beste.
Auf ein freies Hirn!
Wer weiß, alles ist möglich!
FinisNoXx
*Ich weiß, wie das geschrieben wird.