Ein Survey Feedback. Die Krankenhäuser sind wegen Covid nicht kollabiert, nun die Insolvenzgerichte davor bewahren!
Als Kompensation der fehlenden Innovationstrukturen.
Aus "Soziologie Heute" August 2022
Die Behördenhierarchie kann offensichtlich mit der Dynamik der Digitalisierung nicht mithalten. Nun haben sich durch das Covid-Moratorium der Abgabenbehörden Zahlungsstockungen angesammelt, die eine Zunahme von Konkursverfahren anzeigen. Jedoch die Effizienz der Gerichte wird durch die Gebührenvorrechte gehemmt.
Wider steigende Entropie
VON JOHANN HÜTHMAIR
Die Strukturen der Insolvenzgläubiger haben sich geändert, die Privilegien blieben. Die österreichischen Insolvenzgerichte „opfern viel Verhandlungszeit“ der Gebührenverrechnung. Durch Digitalisierung wurde die Funktion des Gläubigerschutzes verändert, nur die Gebührenprivilegien blieben. Aus ursprünglicher Informationsfunktion (samt „Botendienste“) der beiden „Gläubiger-schutzverbände“ (GSV) änderten sich die Aufgaben. Das Novum einer Gebührenbevorrechtung für Gläubigerschutz (§ 87a IO - www.jusline.at/gesetz/io/paragraf/87a) als Privileg gibt es übrigens nur noch in Österreich. Eine Zahlungsplanannahme setzt die vorhergehende Abwicklung des Gesamtvermögens voraus.
Für eine Neuordnung wäre eine Systembetrachtung aus volkswirt-schaftlicher Sicht gefordert, welch die Gesamtkosten der Transaktionen beachtet, damit die gesellschaftliche Entropie endlich abnimmt.
Bei einem Zahlungsplan wird vor der Abstimmung über den Antrag das Massevermögen geregelt und verteilt. Um die Gebühren berechnen zu können, fragt ein InsolvenzrichterIn bei der Verteilungstagsatzung“ die GSV: „Werden Sie dem Antrag zustimmen?“ Die Verteilung der Masse ändert sich, wenn die Gläubigerschützer hinterher nach der Masseverteilung in der Rest-Schuld-Befreiung das Abschöpfungs-verfahren oder einen Zahlungsplanantrag wählen. Ein Sanierungs-erfolg bei natürlichen Personen mit der „RestSchuld-Befreiung“ ist erst seit 1995 mit dem Schuldenregulierungsverfahren hinzugekommen. Bei Unternehmern besteht eine Sanierung, wenn das Unternehmen durch Sanierungsplanantrag nicht geschlossen wird.
Mathematisch gesprochen wird der dritte Schritt in der Tagsatzung vor dem zweiten Schritt gefordert. Dadurch wird jedoch jede ernst zu nehmende Debatte über die Angemessenheit oder die Optionen einschränkt. Die Debatte über Optionen wird zur Farce degradiert, sozusagen auf Ja/Nein reduziert.
Bei einer Sanierungsplanannahme hat der Schuldner die Gebühren zu tragen; bei GSV sind es 15 Prozent vom Vergeltungsanteil des Insolvenzverwalters, bei einer Abwicklung (Liquidierung) 10 Prozent. Bei einem Zahlungsplan natürlicher Personen fressen die Begünstigungen der GSV das Massevermögen auf, schmälern also die Quotenanteile der Gläubiger. Konsequenz: Die Quotenorientierung der GSV bringt in der Tendenz weitere Folgekonkurse hervor, die von Liquiditätsreserven bestimmt werden.
Anwälte als Gläubigervertreter und auch jene Gläubiger, die selbst ihr Stimmrecht bei Gericht ausüben, bekommen keine vergleichbare Vergütung. Die Arbeiterkammer hat die Pfründe gewittert und ein Antrag auf Zulassung des „Insolvenzschutzverbandes für Arbeitnehmer“ (ISA) wurde genehmigt, obwohl die Insolvenz-ausfallfonds den Schaden kompensieren. Nun sind es vier Verbände (KSV, AKV, ÖVC, ISA), die aus dem gleich großen Topf leben.
Die Perversion von fixen Bezügen für GSV zeigt sich auch beim „Futterneid“ der GSV. Statt zu kooperieren, schaut man auf die eigene Tasche. Ein Beispiel: Weshalb sitzt in einer Tagsatzung eines Einzelunternehmer ohne Mitarbeiter die ISA-Vertretung im Verhandlungssaal und bekommt 1⁄4 der Fixgebühr, die 15 Prozent der Entlohnung des Insolvenzverwalters beträgt? Und weshalb kooperieren diese vier Schutzverbände nicht beim Kostensparen? Weshalb kommt der KSV zur Tagsatzung, nur um mitzuteilen, dass die SVS auf Stimmausübung verzichtet (auf Antrag des Schuldners)? Das Fernbleiben wäre eine hinreichende Botschaft.
Gestrandete Bürger haben keine Lobby
Die ökonomisch Gestrandeten erscheinen strukturell schlechter gestellt als der Rest der Gesellschaft. Viele Langzeitarbeitslose wurden mit Förderungen in die Selbstständigkeit gelockt, hinterher jedoch alleine gelassen. Sich für Reformen einzusetzen, gehört zu den Wesensmerkmalen politischer Kommunikation. Doch offensichtlich geschieht dies nur dann, wenn viele Wählerstimmen berührt werden.
Bei Insolvenzverfahren natürlicher Personen erscheint eine Erfolgsbelohnung für Gläubigerschutzverbände als elbstgefälligkeit. Ein Gläubigerschutz in Zeiten der Digitalisierung sollte eigentlich vor der Kreditvergabe ansetzen.
SVS-Pensionsansparung als Armutsfalle?
Diese SVS verweigern die Prüfung und Zustimmung zu Anträgen und ignorieren die Kontrahierungspflicht.
In einem konkreten Fall beim Landesgericht Salzburg war die Pensions- und Krankenkasse der Selbstständigen größter Gläubiger im Verfahren. Der Schuldner ersuchte um Verzicht auf Ausübung der Stimmrechte. Die SVS kam zwar der Stimmenthaltung nach. Demnach wäre diese per Verordnung anzuweisen, sich gänzlich der Stimmausübung zu enthalten, statt einem Gläubigerschützer „zur Gebührenabholung“ vor Ort die Nichtanwesenheit mitzuteilen. Die SVS hält sich bei Betriebsschließungen nicht an international anerkannte Accounting- und Reportingstandards, sondern ignoriert diese Verlustvorträge. Der § 25 GSVG wäre längst so zu reformieren, damit dieser mit der seit 1995 bestehenden Restschuldbefreiung korrespondiert.
In einer Insolvenz meldete die Pensions- und Krankenkasse (SVS, OGK etc.) die Rückstände der Vorschreibungen als Forderung im Insolvenzverfahren an. Die Insolvenzverwalter und Gläubiger-schutzverbände prüften kaum wie sich diese Einzelpositionen zusammensetzten; die SVS legte nur schwer nachvollziehbare Rückstandausweise vor. Hinterher wurden die Leistungsansprüche für Pensionen jedoch nach Geldeingang gekürzt, was einer Aussonderung entspricht. Einzelne Gläubigerschutzverbände kollaborieren offensichtlich mit den Sozialversicherungsanstalten und erfreuen sich der Gebühreneinnahmen aus der Bevorrechtung.
Systemversagen?
Im Insolvenzverfahren scheint sehr viel administrative „Luft“ zu stecken, die man herausnehmen sollte, wenn mehr Insolvenzen kommen, damit uns die Insolvenzgerichte in ihrer Kapazität nicht kollabieren. Die Motivation der Richter ist daraus von Konfliktumleitung geprägt und von Leistungsrestriktion betroffen, wenn die Zirkelschlüsse lt. Insolvenzordnung zu „Irritationen“ führen. Als Folge gibt es Dienst nach Vorschrift. Wenn die Rechtsstellung von GSV und jene der Sozialversicherungsanstalten nach volkswirtschaftlichen Interessen geordnet werden, könnte bis ein Drittel der Zeit bei den Gerichtsverhandlungen eingespart werden, die Kapazität der Insolvenzgerichte um 50 Prozent vergrößert und die Debattenqualität für hilfreiche Regelungen verbessert werden.
Wenn jedoch die Lobby die Willensbildung der Insolvenz- und Exekutionsordnung gestaltet, bleiben diese Privilegien
der Gebührenbegünstigungen aus Zeiten vor der Digitalisierung, obwohl die Funktionen sich änderten und es volkswirt-
schaftlich auch externe Kosten zu erfassen gilt, bestehen.
Wenn der Ringelspielbetreiber selbst am Karussell mitfährt, bedarf es eines Dritten, der den Stecker zieht.
Viele Startups werden wegen der hohen Ausstiegshürden bei ihren Bemühungen zur Selbstständigkeit gehemmt.
Einem freudigen Gründerklima kommt dies keineswegs entgegen.
Abkürzungen und Begriffe
AKV - Alpenländischer Kreditorenverband
GSV - Gläubigerschutzverbände
GSVG - Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz
IO - Insolvenzordnung
ISA - Insolvenzschutzverband für ArbeitnehmerInnen
KSV - Kreditorenschutzverband 1970
ÖVC - Österreichischer Verband Creditreform
SH - Soziologie Heute Magazin
SVS - Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen
§ 87a IO - www.jusline.at/gesetz/io/paragraf/87a
Ein konkretes Beispiel für die Berechnung mit 6 Gläubigern oh ne Mitarbeiter:
Entlohnung Masseverwalter (gern. § 82a 10): € 4.708,25 (zuzgl. USt)
Gericht Pauschalgebühr (Art. 1 § 32 TP 6 GGG): € 707,-
Gebühren an vier Kreditschutzverbände (§ 87a IO): € 847,45 (inkl. USt)
„An Masse sind dann nur mehr € 499,22 zur Verteilung an die Konkursgläubiger vorhanden, welche eine Quote von 0,6682594 Prozent erhalten.“
Ein Zahlungsplan mit 5 Prozent Barquote wurde einstimmig angenommen.
Johann Hüthmair absolvierte sein Doktoratsstudium in Wirtschaftssoziologie und BWL an der Johannes-Kepler-Universität Linz und wirkt alsSanierungsbegleiter mit über 40 Jahren Erfahrung in der Entschuldungund im Troubleshooting. Er ist Autor mehrerer Bücher und zahlreicher Fachartikel zu Sanierung und Insolventsrechtsreformen.
Kontakt: huethmair@restart.at Web: www.restart.at
PS: Die Zahlungsstockungen häuften sich durch die Corona-Zahlungserleichterungen der Behörden. Die Insolvenzen steigen, schreiben nun auch die mainstream Medien, das ist eine vorraussehbare Wirkung bei Moratorien. www.ots.at/presseaussendung/OTS_20220801_OTS0014/creditreform-firmeninsolvenzstatistik-1-halbjahr-2022-20-insolvenzen-pro-werktag-anhang
Damit die Kapazität der Insolvenzgerichte nicht kollabiert, wären folgende rasche Maßnahmen angebracht (per Verordnung):
1. eine Generalamnestie für Gestrandete Unternehmer bei Abgabenbehörden (FA, SVS OGK etc) 90% der Corona-Schulden auf Antrag der Schuldner erlassen. Sehr wirksam für Anzahl der Insolvenzanträge (die SVS oder OGK etc. kommen der Kontrahierungspflicht im Insolvenzverfahren nicht nach)
2. durch Abschaffen der Bevorrechtung für Gläubigerschutzverbände (§ 87a IO) wird viel Zeit frei.
3. Die abgewiesenen Insolvenzanträge sind bei Selbständigen (natürliche Personen) zu hoch, die Chance auf Restschuldbefreiung erhöhen. Einen Fond zu Kostenvorschuss zur Insolvenzeröffnung einsetzen (ähnlich Insolvenzgeld-ausfallfond für Arbeitnehmer). In Salzburg gibt es bereits "Abwicklunsberatung".
Der Reformenstau ist enorm. vom Feiertagskalender bis Abgabenarten der Sozialversicherungsträger und die Umsatzsteuergrenze von derzeit € 30.000 auf € 100.000 anheben, nur als Hinweis.
Auszug von Soziologie Heute Aug. 2022 (Volltext: www.restart.at/images/PDF/SH0822HuethmairEntropie.pdf)